Im Glanz der roten Sonne Roman
sich aus ihrem Augenwinkel. »Er hatte kein Recht dazu.«
Eve war einerseits erschrocken darüber, die Bestätigung zu erhalten, dass Max nicht ihr Vater war, zugleich aber auch unerwartet erleichtert. »Dann stimmt es also? Max ist nicht mein Vater?«
Letitia nickte. Sie beobachtete, wie ihre Worte in Eves Bewusstsein drangen, und tiefes Mitgefühl überkam sie. »Es tut mir sehr Leid, Evangeline. Ich hätte es dir schon vor langer Zeit sagen müssen, aber ich wusste einfach nicht, wie ich es anfangen sollte, und ich hatte ...« Sie wandte sich verlegen ab.
»Du hattest Angst?«
Letitia nickte. »Ja. Du hältst mich jetzt bestimmt für feige, und damit hast du vollkommen Recht.«
Eve fühlte Scham in sich aufsteigen. Wie oft hatte sie gedacht, dass ihre Mutter feige war? »Und warum hast du deine Meinung jetzt plötzlich geändert und es ihm gesagt?«
Letitia seufzte. »Als ich vom Ball zurückkam, hat er sich furchtbar über deinen Artikel aufgeregt. Doch du hattest jedes Recht, über ihn zu schreiben, und ich habe dich insgeheim für deinen Mut bewundert. Und dann sagte ich mir, dass es höchste Zeit ist, selbst einmal mutig zu handeln. Ich hatte lange genug in Angst gelebt und glaubte plötzlich, nicht länger mit der Lüge leben zu können. Es hat mich tief befriedigt, Max zu sagen, dass ein so wundervoller und mutiger Mensch wie du nicht sein Kind ist. Zum ersten Mal seit vielen Jahren fühlte ich mich frei und unbelastet. Wahrscheinlich findest du es grausam, was ich getan habe, aber ...« Letitia wollte Eve nicht sagen, dass Max gedroht hatte, sie zu enterben. »Er hat mich jahrelang wie sein Eigentum behandelt, und ich fühlte mich ungeliebt. Ich gebe zu, dass es mir Genugtuung bereitet hat, Max zu sagen, wie sehr ich deinen Vater geliebt habe.«
Eve konnte vor Rührung nichts erwidern.
Letitia fuhr fort: »Als du noch klein warst, hatte ich Angst, dass Max mich hinauswerfen würde und dass ich dich und deine Schwestern nie wiedersehe. Aber mit der Zeit verändern sich die Dinge. Ihr seid jetzt alle fast erwachsen, und ich bin weder für dich noch für deine Schwestern von großem Nutzen. Bitte glaub mir, dass ich deinem Kummer gegenüber nicht blind gewesen bin – ich habe ihn in deinen Augen gesehen und in deiner Stimme gehört. Ich weiß, dass ich nie gutmachen kann, was dir entgangen ist, aber auch wenn es dir nicht viel hilft – es tut mir sehr Leid.« Letitia putzte sich die Nase und wischte sich die Tränen ab, während Eve zum Fenster ging und in den Regen hinaus starrte, der vomVerandadach tropfte. In der Ferne hörte sie Donnergrollen, und alles kam ihr seltsam unwirklich vor. Normalerweise machte Donner ihr Angst, doch sie war wie betäubt.
»Du wolltest immer wissen, warum du bei Cornelia und Louis aufgewachsen bist. Ich schäme mich sehr, es zuzugeben«, sagte Letitia, deren Augen wieder voller Tränen standen, »aber wann immer ich dich angeschaute habe, fühlte ich mich an meine geheime Schuld erinnert, und je älter du wurdest, desto ähnlicher wurdest du deinem Vater.« Letitia hielt inne und wischte sich die Tränen von den Wangen. »Es war nicht etwa leichter, dich nicht mehr zu sehen, nachdem ich dich fortgegeben hatte – im Gegenteil, es hätte mich beinahe umgebracht. Aber meine Schuldgefühle quälten mich zu sehr.«
Ganz langsam wandte sich Eve zu ihrer Mutter um. »Wer ist mein richtiger Vater?«
Letitia schloss die Augen, und wie immer sah sie sein Bild ganz deutlich vor sich. Sie dachte an seine Wärme, seinen Humor und an das Gefühl, in seinen Augen etwas Besonderes zu sein. Sie lächelte leicht, und dieses liebevolle Lächeln tröstete Eve und gab ihr Hoffnung.
»Er hieß Luther Amos. Seine Mutter war Irin, sein Vater Samoaner, und er hatte von seiner Mutter den Humor und die hellen Augen geerbt, von seinem Vater den kräftigen Körperbau und das freundliche Wesen. Er war ein wunderbarer Mann, stark und doch sanft und gefühlvoll, und er hatte dasselbe Gespür für Menschen wie du. In seiner Nähe fühlte ich mich glücklich und zufrieden, und ich lachte viel mit ihm, auch wenn mir eigentlich nicht danach zumute war. Er sah hinter allen Dingen immer nur das Gute und Schöne ... es ist schwer zu erklären, aber ich fühlte mich unwiderstehlich zu ihm hingezogen.«
Eve dachte an Jordan und verstand, was ihre Mutter meinte.
»Ich war unsterblich in deinen Vater verliebt, Evangeline,auch wenn ich wusste, dass es nicht recht war, aber ich hatte mich hoffnungslos in
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