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Im Hauch des Abendwindes

Im Hauch des Abendwindes

Titel: Im Hauch des Abendwindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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die Uferböschung nicht ganz so steil abfiel, durchquerten sie das Flussbett. Auf der anderen Seite angekommen, galoppierte Silver Flake wieder an, und Ruby empfand ein nie gekanntes Gefühl grenzenloser Freiheit.
    Im Nu hatten sie das Gebiet hinter Silverton erreicht. Ruby konnte Myras Haus in der Ferne sehen, doch sie ritt weiter, auf die Mundi-Mundi-Ebene zu.
    Kurz darauf gelangten sie an die Straße nach Umberumberka. Als sie sie überquert hatten, setzten sie ihren Weg in gemächlichem Tempo fort und hielten schließlich an. Ruby genoss die Stille und die scheinbar unendliche Weite. Sie schaute blinzelnd zum Himmel hinauf, der in verschiedenen Gelb-, Rosa- und leuchtenden Orangetönen gebändert war. Der geradezu atemberaubend schöne Anblick trieb ihr Tränen in die Augen.
    Die Zeit schien stillzustehen. Ein sanfter Morgenwind strich über Rubys Haut, die feucht glänzte vom Schweiß. Nicht ein einziges Auto, keine Menschenseele war zu sehen. Ruby kam es so vor, als wäre sie ganz allein auf diesem Planeten. Es war ein unheimliches und gleichzeitig herrliches Gefühl. Auch Silver Flake sah sich aufmerksam um. Ihre Ohren zuckten, die Nüstern blähten sich.
    »Ganz schön ruhig hier draußen, nicht wahr, mein Mädchen?«, flüsterte Ruby, während sie der Stute über den Hals strich. Das silbergraue Fell fühlte sich an wie Seide. »Komm, zeig, was du kannst!« Ein leichter Druck mit den Fersen genügte, und Silver Flake setzte sich in Bewegung.
    In lockerem Galopp ging es über das offene Land, wo nichts außer ein paar dürren Grasbüscheln wuchs. Nach wenigen hundert Metern fiel die Stute in gestreckten Galopp. Ruby machte sich ganz klein im Sattel und duckte sich hinter Silver Flakes Kopf, so wie sie es bei Kadee gesehen hatte. Es war das erste Mal, dass sie außerhalb der runden Reitbahn bei Bernie ritt. Furchtlos spornte sie die Stute zu noch höherem Tempo an. Sie hob das Gesicht in den kühlen Wind und strahlte. Es war herrlich, fast so, als würden sie von unsichtbaren Flügeln getragen. Auch die Stute schien es zu genießen, ihrem Bewegungsdrang nachgeben und nach Herzenslust laufen zu können, weil es genau das war, wofür sie geschaffen war. Ein ekstatisches Gefühl ergriff Ruby, und sie wusste, sie würde diese Augenblicke der Verzückung nie wieder vergessen.
    Als sie fast zwei Kilometer zurückgelegt hatten, richtete sich Ruby im Sattel auf und drosselte behutsam Silver Flakes Tempo, bis sie im Schritt ging. Ruby war ganz außer Atem. Sie wendete das Pferd und tätschelte ihm den Hals, und die Stute schnaubte und prustete, als wollte sie sich für den Auslauf bedanken.
    Die Sonne kletterte höher am strahlend blauen Himmel, als sie sich gemächlich auf den Rückweg machten. Außer dem klackenden Geräusch der Hufe auf der steinigen, staubigen Erde war es vollkommen still.
    Doch dann glaubte Ruby plötzlich etwas zu hören. »Hast du das auch gehört?«, fragte sie Silver Flake, als ob das Pferd ihr eine Antwort geben könnte.
    Sie zog die Zügel an, und Silver Flake blieb regungslos stehen. Ruby lauschte angestrengt. Es klang wie das ferne Echo eines Blasinstruments. Ein didgeridoo ? Doch das war unmöglich, da meilenweit kein Mensch zu sehen war. Kurz meinte sie den Singsang von Aborigines zu hören, der sich in der Ferne verlor.
    Ruby runzelte verwirrt die Stirn. Was hatte das zu bedeuten? Sie bildete sich dieses seltsame Phänomen nicht ein, denn sie konnte Silver Flake – dem Spiel ihrer Ohren und ihrem wachsamen Blick – ansehen, dass auch sie etwas wahrnahm. Die Stute schaute unverwandt nach vorn, dorthin, wo am Horizont Himmel und Erde sich zu berühren schienen.
    »Was hast du, mein Mädchen?«
    Ruby strich der Stute über die silbergraue Mähne. Plötzlich erhob sich aus dem Nichts ein Wirbelwind, der sich in einer schnellen Spirale auf sie zubewegte. Bevor Ruby reagieren konnte, hatte die Windhose sie bereits erreicht. Silver Flake begann nervös zu tänzeln, und Ruby redete beruhigend auf sie ein. Die Windhose wirbelte in geringem Abstand um Pferd und Reiterin herum. Auf einmal war das didgeridoo wieder zu hören, lauter dieses Mal, bevor sein Klang erstarb. Im nächsten Augenblick nahm der Wind ab, der Staub, den er aufgewirbelt hatte, legte sich, und ringsum herrschte wieder tiefe Stille.
    Ein beklemmendes Gefühl beschlich Ruby. Sie erinnerte sich, dass Jed ihr einmal von den Geistern auf der Mundi-Mundi-Ebene erzählt, sie das aber nicht wirklich ernst genommen hatte. Es war um

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