Im Hauch des Abendwindes
der Fahrt nach Alice Springs an vieles denken musste. Sie selbst war schon ganz aufgeregt. Sie war noch nie in Alice Springs gewesen und hatte auch noch nie ein Pferderennen besucht.
Cindy, Bernies Hund, humpelte ihr zur Begrüßung entgegen.
»Hallo, Cindy.« Ruby tätschelte ihr den Kopf. »Was hast du denn gemacht, mein Mädchen? Wieso humpelst du?« Sie bückte sich, konnte aber in dem dämmrigen Licht nicht erkennen, ob sich der Hund an der Pfote verletzt hatte.
Bernie trat auf die Veranda heraus. »Morgen, Ruby!«
»Guten Morgen, Bernie. Cindy hinkt, hast du das schon gesehen?«
»Ja, ich schätze, irgendwas hat sie gebissen.«
»Doch hoffentlich keine Schlange!«, sagte Ruby besorgt.
Der arme alte Hund tat ihr leid. Sie und Jed hatten Bernie erzählt, dass sie eine Schlange in den Heuschuppen hatten kriechen sehen.
»Nein, dann wäre sie jetzt nicht mehr am Leben. Ich vermute, es ist ein Spinnenbiss. Es gibt Spinnen, deren Biss ziemlich üble Folgen haben kann, wenn er nicht behandelt wird.«
»Und was hast du jetzt vor?«
Bernie war die Verandastufen heruntergekommen »Ich werde mit ihr zum Tierarzt fahren, damit er sie untersucht«, antwortete er, die Stirn in tiefe Sorgenfalten gelegt. Dann fragte er: »Ist Jed nicht mitgekommen?«
»Nein, er ist nach Broken Hill gefahren, weil er den Wagen vor der Fahrt nach Alice Springs überprüfen lassen will.«
»Ja, da tut er sicher gut dran. Vielleicht sehe ich ihn ja, wenn ich zum Tierarzt fahre. Also dann bis später.« Bernie hob seinen Hund hoch und legte ihn auf den Beifahrersitz seines Pick-ups.
»Ja, bis später.« Ruby ging zu den Stallungen hinter dem Haus. Sie hörte, wie der Motor des Pick-ups angelassen wurde und der Wagen die Einfahrt hinunterfuhr. Es dauerte nicht lange, bis sich das Motorengeräusch entfernt hatte und ringsum tiefe Stille eingekehrt war.
Es war ein herrlicher Morgen. Die ersten Sonnenstrahlen tasteten sich über das Land und drängten die Dunkelheit immer weiter zurück. In den beginnenden Tag hineinzureiten war für Ruby das Schönste, und daher hoffte sie, dass Kadee noch kommen würde, auch wenn es wenig wahrscheinlich war. Kadee war seit Tagen nicht mehr da gewesen. Ruby verstand nicht, warum Jed sich so wenig um die junge Aborigine kümmerte. Anscheinend war er in seiner Einstellung den Ureinwohnern gegenüber nicht anders als die anderen Männer in der Stadt.
Allerdings musste Ruby ihm zugutehalten, dass er vollauf mit den Vorbereitungen für das Rennen beschäftigt war und deshalb alles andere in den Hintergrund rückte. Mick hatte ihn einmal als »Hinterhoftrainer« beschrieben, der das Glück gehabt habe, ein Pferd mit Siegerpotenzial bei einer Versteigerung zu entdecken. Die Wahrscheinlichkeit, dass er so eine Chance ein zweites Mal bekäme, sei gleich null, daher setze Jed seine ganze Hoffnung in das Rennen in Alice Springs. Zu Rubys eigenen Erstaunen war ihr Wunsch, ihren Anteil an dem Pferd zu verkaufen, irgendwann in der Zeit in Silverton dem Ehrgeiz gewichen, Silver Flake siegen zu sehen. Sollte dieser Traum Wirklichkeit werden, so würde sie besonders stolz darauf sein können, weil sie mit ihrem Training einen kleinen Beitrag dazu geleistet hätte.
Nachdem sie die Stute begrüßt hatte, mischte sie ihr Futter. Statt Silver Flake zu füttern, holte sie jedoch Zaumzeug und Sattel.
»Eigentlich hat Jed mir das verboten«, sagte sie, als sie aufstieg, »aber du wirst mich nicht verraten, oder?« Sie lenkte die Stute auf die Reitbahn hinaus und setzte sie in Galopp. Es war ein wunderschöner Morgen.
»Wir könnten doch einen kleinen Ausflug machen, was meinst du, Mädchen? Niemand würde es erfahren.«
Ruby stieg wieder ab, öffnete das Gatter hinter der Bahn, führte die Stute hinaus ins offene Gelände, machte das Gatter hinter ihr zu und stieg wieder auf.
Das weite Land war steinig und öde; außer robustem Unkraut wuchs nichts auf dem ausgedorrten Boden. Ruby hatte das Gefühl, die Stute freue sich über die kleine Abwechslung. Silver Flake galoppierte an, ohne dass sie dazu ermuntert werden musste.
Nach einer Weile erreichten sie das Flussbett. Im Schritttempo ging es unter den knorrigen Eukalyptusbäumen entlang. Vögel zwitscherten im Geäst, Elstern keckerten, und Gelbhaubenkakadus kreischten. Ein Lächeln huschte über Rubys Gesicht. Sie war ein Stadtkind und hätte sich nie träumen lassen, dass sie sich so sehr an der Natur und der ländlichen Idylle erfreuen könnte.
An einer Stelle, wo
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