Im Hauch des Abendwindes
zog sich in das Wohnmobil zurück. Sie machte die Tür, die sie geschlossen hatte, bald wieder auf, weil es drinnen so stickig war. Von ihrer Schlafkoje aus konnte sie die Brandung hören und die züngelnden Flammen des Lagerfeuers sehen. Ruby konnte auch Jed in seinem Schlafsack und Silver Flake sehen. Einen Moment lang war sie drauf und dran, Jed alles zu beichten, ihm zu gestehen, dass sie gelogen hatte, als sie ihm sagte, sie habe Rick Paget engagiert. Aber sie brachte es nicht fertig. Sie würden bestimmt noch einen Jockey auftreiben. Sie musste einfach fest daran glauben.
»Gute Nacht, Jed«, rief sie.
»Nacht, Ruby«, kam die schläfrige Antwort.
Sie lächelte. Ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, dass es ein absolut perfekter Tag gewesen war.
25
Kurz nach Sonnenaufgang war Ruby schon auf den Beinen. Dank der kühlen Meeresbrise hatte sie so gut geschlafen wie seit ihrer Abreise aus Sydney nicht mehr. Sie schwang sich auf Silver Flake und ritt durch die schäumende Brandung am weißen Sandstrand entlang. Danach durfte die Stute im seichten Wasser plantschen, während Ruby und Jed sich nass spritzten und vergnügt herumtollten wie Kinder. Ruby wäre am liebsten geblieben, aber Jed meinte, sie müssten bald aufbrechen, weil sie noch eine lange Fahrt vor sich hätten.
»Du solltest ans Meer ziehen, wo Silver Flake das Wasser und den Auslauf am Strand so liebt«, sagte Ruby, als sie die Stute trocken rieben und anschließend striegelten, bis ihr Fell wie Seide schimmerte.
»Wir müssten erst ein paar bedeutende Rennen gewinnen, bevor wir uns einen Umzug ans Meer leisten könnten. Wenn Rick Paget immer für uns reiten würde, wäre das was anderes. Dann stünden unsere Chancen verdammt gut.«
Jeds Stimme klang so aufgeregt, dass Ruby sofort ein schlechtes Gewissen bekam. Sie machte den Mund auf, um Jed die Wahrheit zu sagen, brachte es aber nicht über sich. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt.
Nachdem sie die Stute gefüttert und wieder in den Hänger verladen hatten, packten sie alles zusammen und fuhren zurück auf den Stuart Highway, dem sie Richtung Norden folgten. Sie ließen Port Augusta hinter sich und machten sich auf den Weg ins raue, unbarmherzige Innere Australiens.
Auf der zweistündigen Fahrt nach Woomera gab es praktisch nichts zu sehen außer einer endlosen Reihe von Telegrafenmasten. Je weiter sie nach Norden kamen, desto heißer wurde es. Ruby öffnete ihr Fenster in der Hoffnung auf einen kühlenden Fahrtwind, doch die Luft, die hereinströmte, war so sengend heiß, dass sie das Fenster wieder schließen musste.
Die Schnellstraße führte ein paar Kilometer an Woomera vorbei, sodass Ruby die Stadt selbst nicht sah, aber ihr fielen die Schilder an dem Zaun auf, der sich an der Straße entlangzog. Sperrgebiet stand darauf und: Zutritt verboten. Als sie Jed fragte, was das zu bedeuten habe, erklärte er es ihr.
»Woomera wurde 1947 in Zusammenhang mit dem Gemini-Raumfahrtprogramm gegründet. Vor ein paar Jahren lebten hier noch siebentausend Menschen, jetzt sind es nur noch ein paar hundert. Die meisten arbeiten für die Regierung oder in den Zulieferbetrieben. Die Bezahlung soll sehr gut sein.«
»Aber ob das für die Isolation entschädigt?«, meinte Ruby nachdenklich. »Silverton ist zwar auch abgelegen, aber immerhin kann man in einer halben Stunde in Broken Hill sein.«
»Ich weiß nicht, aber die Arbeit ist bestimmt interessant. Die Gegend hier ist nämlich Raketentestgelände.«
»Ehrlich?«, staunte Ruby.
Jed nickte. » Woomera stammt aus der Sprache der Aborigines. Damit bezeichnen sie einen Wurfspeer mit einer Schleudervorrichtung. Das Raumfahrtprogramm ist mittlerweile reduziert worden, hab ich gehört, aber es gibt unweit von hier ein Gebiet namens Red Lake, das eine entscheidende Rolle bei den Vorbereitungen für die erste Mondlandung spielt.«
»Wow!«, entfuhr es Ruby ehrfürchtig. Sie verrenkte sich den Hals, um zum Himmel hinaufblicken zu können. »Glaubst du, wir erleben zufällig einen Raketenstart mit?«
»Kann ich mir nicht vorstellen. Ich hab übrigens in der Zeitung gelesen, dass die Amerikaner ungefähr dreißig Kilometer von Woomera eine Bodenstation bauen, die Nurrungar Joint Tracking Facility. Der genaue Standort ist geheim, deshalb haben wir unterwegs keinen Hinweis darauf entdeckt.«
»Wer hätte gedacht, dass sich so weltbewegende Dinge hier draußen abspielen«, staunte Ruby.
Etwa eine Stunde später bog Jed unmittelbar vor der
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