Im Hauch des Abendwindes
bildeten. Prickelnde Vorfreude erfasste sie.
Nachdem die Maschine sanft auf dem Wasser gelandet war, wurden die Passagiere mit einem Boot an Land gebracht. Als Emily auf dem kleinen Landungssteg stand, kam ein junger Mann auf sie zu und fragte, wohin sie wolle. Sie nannte ihm die Adresse und fragte, wie sie dorthin komme, doch der junge Mann bestand darauf, sie mitzunehmen. Emily war ganz verwirrt, als sie sah, dass es sich bei seinem Transportmittel um ein rikschaähnliches Gefährt handelte – ein Fahrrad mit einem Anhänger, der aus einer Sitzbank bestand, die gerade groß genug für einen Passagier und einen Koffer war. Sie versuchte, taktvoll abzulehnen, um sich ein Taxi zu suchen, doch der junge Mann erklärte ihr, dass die Einheimischen ausschließlich auf zweirädrige Fahrzeuge, entweder Fahrräder oder Motorroller, als Fortbewegungsmittel zurückgriffen. Es gab nur eine Alternative: zu Fuß gehen.
»Haben Sie vielen Dank«, sagte Emily zu ihrem Fahrer, als sie eine knappe halbe Stunde später ihr Ziel erreicht hatten. Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil die Insel hügelig war und der Weg oft steil.
»Nichts zu danken«, antwortete der junge Mann lächelnd und schnaufte. »Ich bin übrigens Tom.«
»Emily«, erwiderte sie und ergriff seine ausgestreckte Hand. »Was bin ich Ihnen schuldig, Tom?«
»Oh, gar nichts. Das gehört zum Service. Es gibt hier ein ausgezeichnetes Restaurant, das Emily’s heißt. Das kann ich Ihnen nur empfehlen.« Er hob grüßend die Hand und raste dann in halsbrecherischem Tempo den Berg hinunter.
Emily fand den Hausschlüssel unter einem Blumentopf in einer Hängeampel auf der vorderen Veranda, genau wie Mr. Smithson gesagt hatte. Sie ging nicht gleich hinein, sondern verweilte noch ein wenig in dem zauberhaften Garten mit seinen duftenden Blumen, den flatternden Schmetterlingen und den exotischen, farbenprächtigen Pflanzen. Es war ein Anblick von atemberaubender Schönheit.
Der Garten war sehr gepflegt. Emily vermutete, dass sich ein Gärtner darum kümmerte. Sie ging zur Hausecke und sah, dass die Veranda sich um das ganze Haus herumzog. An der Seite lag ein Kajak, ein Surfbrett lehnte an der Wand, daneben Schnorchel und Schwimmflossen. Sie fragte sich, wem die Sachen gehören mochten. Auf der Rückseite des Hauses fiel das Gelände zum Ufer hin ab. Holzstufen führten zu einem unberührten weißen Sandstrand hinunter. Auf der hinteren Veranda stand eine Hollywoodschaukel. Emily setzte sich hinein und atmete tief die herrlichen Blütendüfte ein, die sich mit der würzigen Seeluft vermischten.
»So stelle ich mir das Paradies vor«, flüsterte sie.
Mr. Smithson hatte ihr in seinem Brief geschrieben, dass Joe dieses Haus sehr viel bedeutet habe und sie es sich aus diesem Grund vielleicht gern ansehen würde. Emily konnte Joes Gegenwart in diesem Moment fast spüren. Es machte sie unendlich traurig, dass es ihm nicht vergönnt gewesen war, seinen Lebensabend hier zu verbringen. Carmel hatte, wie Mr. Smithson betonte, Joes Zufluchtsort nie besucht, und dieser Gedanke tröstete Emily. Joe habe seiner Familie nie von dem Haus erzählt, hatte Mr. Smithson noch angemerkt.
Schließlich fasste Emily sich ein Herz und ging hinein. Sie schlenderte von einem Zimmer zum anderen und ließ die Atmosphäre auf sich wirken. Die Einrichtung, wie etwa die Korbmöbel, die mit Troddeln verzierten Kissen oder auch die Bücher über das alte Ägypten und berühmte gesunkene Schiffe, zeugte unverkennbar von Joes persönlichem Geschmack. Als Emily ein gerahmtes Foto von sich und Joe entdeckte, schnürte ihr die Rührung die Kehle zu. Die Aufnahme war viele Jahre zuvor auf einem Ausflug nach Manly entstanden. Wie jung und verliebt und sorglos sie darauf aussahen! Ihr Blick fiel auf Joes Briefmarkenalbum. Sie erinnerte sich, wie sie an verregneten Abenden über seiner Briefmarkensammlung gehockt und von den fernen Ländern geträumt hatten, die sie irgendwann einmal besuchen wollten. Vor allem Ägypten hatte es Joe angetan, aber er hatte auch von Südseeinseln geschwärmt.
In dem Haus sei nichts verändert worden, hatte Mr. Smithson geschrieben. Das war der Hauptgrund dafür, dass Emily sein Angebot überhaupt angenommen hatte. Es war für sie die einzige Möglichkeit, Joe noch einmal nahe zu sein.
Sie unterdrückte krampfhaft ein Schluchzen, als sie den Kleiderschrank öffnete und Joes Sachen darin fand. Sie hielt sich eine dünne Jacke ans Gesicht und atmete den Duft
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