Im Hauch des Abendwindes
hinauf, die farbenprächtigen Blumen, von denen ihr die meisten völlig unbekannt waren, bewundernd. Sie verglich die Gegend mit Silverton und seiner Umgebung. Die beiden Orte hätten unterschiedlicher nicht sein können. Als Ruby die Stufen zur Veranda hinaufstieg, sah sie, dass die Haustür offen stand. Gelächter und Stimmen drangen aus dem Haus. Ruby hielt irritiert inne. Hatte der junge Mann sie an der falschen Adresse abgesetzt? Doch dann war ihr, als hätte sie die Stimme ihrer Mutter gehört.
»Mom?«
Zögernd betrat Ruby das Haus und fand sich in einem behaglich, geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer wieder. Es war hell und angenehm kühl hier drinnen.
Emily horchte auf. Hatte da jemand gerufen? Sie öffnete die Wohnzimmertür und blieb wie vom Donner gerührt stehen, als sie ihre Tochter erblickte.
»Ruby! O mein Gott, Ruby! Was machst du denn hier?«
»Mom!« Ruby ließ ihren Koffer fallen und warf sich in die Arme ihrer Mutter. Alle angestauten Emotionen brachen sich auf einmal Bahn. »Ich hab dich so vermisst!«
Emily drückte ihre Tochter fest an sich. »Woher weißt du denn, dass ich hier bin?«
»Ich hab Tante Teresa angerufen. Ich musste einfach kommen, Mom …« Ruby begann zu schluchzen.
»Was hast du denn, Kind? Ist etwas passiert?« Emily schob ihre Tochter behutsam von sich und sah sie prüfend an.
»Silver Flake … Sie ist nach dem Rennen tot umgefallen«, schniefte Ruby. »Es war furchtbar, Mom.«
»Was? Aber wie kann sie einfach tot umfallen? Wie ist das passiert?«
»Ihr Herz … Es war Herzversagen …«
»Mit wem redest du denn da, mein Schatz?«
Plötzlich stand ein Mann in der offenen Tür. Er hielt ein Fotoalbum in der Hand. Als er Ruby sah, starrte er sie offenen Mundes an. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Frauen war unverkennbar; er konnte sich also denken, wer die junge Frau war.
Ruby schnappte vor Verblüffung nach Luft. Wer war dieser Mann? Sein Hemd war aufgeknöpft, und er war barfuß. Er schien sich ganz wie zu Hause zu fühlen. Und wieso nannte er Emily »mein Schatz«?
Emily war blass geworden. Sie schaute erst den Mann an, dann ihre Tochter. »Ruby …« Sie wusste nicht recht, wo sie beginnen sollte. »Ich …«
»Was wird hier gespielt, Mom? Wer ist das?«
»Das ist …« Emily warf dem Mann einen raschen Blick zu. »Vielleicht solltest du dich erst einmal setzen, Ruby.«
»Ich will mich nicht setzen. Ich will wissen, was hier los ist«, sagte Ruby energisch.
»Ich werde es dir gleich erklären, aber jetzt setz dich erst einmal«, bat Emily mit sanfter Bestimmtheit.
Ruby gehorchte, wenn auch widerstrebend. Sie nahm auf einem bequemen Sofa Platz, und ihre Mutter setzte sich neben sie.
»Ruby, was ich dir jetzt sage, wird ein ziemlicher Schock für dich sein, aber dieser Mann … das ist Joe Jansen.« Emily machte eine kleine Pause, damit Ruby die Neuigkeit verdauen konnte. »Dein Vater«, fügte sie leise hinzu, als Ruby sie nur verständnislos ansah.
»Mein Vater! Aber … aber das kann doch nicht sein!« Ruby sah flüchtig zu ihm hin. Seine Augen hatten die gleiche Farbe und die gleiche Form wie ihre eigenen. »Wir waren doch bei der Testamentseröffnung«, stammelte sie.
Emily blickte einen Moment zu Boden. »Joe hat seinen Tod vorgetäuscht, damit er frei ist und mit uns zusammen sein kann.«
Ruby fiel aus allen Wolken. »Was? Hast du das etwa gewusst?«
»Nein, ich hatte keine Ahnung, aber er hat mir damit die wunderbarste Überraschung meines Lebens bereitet.«
Sie war ohnmächtig geworden, als sie erkannt hatte, dass sich ihr Joe hinter dem bärtigen Mann auf der Terrasse des Restaurants verbarg. Als sie wieder zu sich kam, hatte er sie in seinen Armen gehalten.
»Was für ein Mensch kommt denn auf so eine Idee?«, sagte Ruby aufgebracht. »Musst du dich jetzt vor der Polizei verstecken?«
»Hör dir erst einmal an, was Joe zu sagen hat, bevor du irgendwelche voreiligen Schlüsse ziehst, Ruby«, bat Emily.
Joe nickte. »Ich würde dir gern alles erklären, Ruby.«
Ruby wurde von ihren Gefühlen überwältigt. Ihr Vater! Er hatte sein eigenes Kind im Stich gelassen. Das würde er nicht mit ein paar Sätzen erklären können.
Joe zog sich einen Hocker heran und setzte sich neben Ruby. Emily ergriff seine Hand. Sie hatten beide gewusst, dass es nicht leicht sein würde, Ruby den Sachverhalt zu erklären, aber gehofft, dass ihnen ein bisschen Zeit bliebe, sich darauf vorzubereiten.
»Ich weiß, ich bin ein Fremder für
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