Im Hauch des Abendwindes
»Falls ich Ihnen irgendwie helfen kann, rufen Sie mich einfach an. Ich bin ja jetzt offiziell im Ruhestand, daher werde ich ziemlich oft zu Hause sein und mich um meinen kleinen Garten kümmern.«
Emily war gerührt. »Danke, das ist sehr nett von Ihnen.«
»Werden Sie hier wohnen bleiben?« Er blickte an dem Haus mit den vergleichsweise teuren Wohnungen hinauf.
»Ich weiß es noch nicht. Ich werde die Miete hier nicht mehr bezahlen können«, gestand Emily verlegen. Es war ihr peinlich, zugeben zu müssen, dass sie ausgehalten worden war.
Mr. Smithson blickte betreten drein. Er fragte sich, warum Joe Jansen nicht besser vorgesorgt hatte für die beiden Frauen. Er hätte es sich doch leisten können. »Im schlimmsten Fall können Sie ja den Schmuck verkaufen, den Mr. Jansen Ihnen vermacht hat«, sagte er. »Dafür kriegen Sie bestimmt ein hübsches Sümmchen.«
»Ich hoffe nicht, dass es so weit kommt. Wenn das Halsband Joes Großmutter gehört hat, wäre es schön, wenn Ruby es eines Tages bekäme.«
Mr. Smithsons Gesicht nahm einen sanften Ausdruck an. Seine Menschenkenntnis hatte ihn selten getrogen, und er spürte, dass Emily eine anständige, rechtschaffene Frau war. »Rufen Sie mich an, auch wenn Sie meine Hilfe nicht brauchen. Mr. Jansen war immer gut zu mir; es wäre mir eine Freude, wenn ich mich ein wenig um Sie kümmern dürfte. Das wäre sicher in seinem Sinne. Er hat oft von Ihnen gesprochen. Das Problem war nur, dass er nicht frei über sein Leben bestimmen konnte. Das verstehen Sie hoffentlich. Er war Tag für Tag mit den völlig überzogenen Ansprüchen und den Anschuldigungen seiner Frau konfrontiert. Mich wundert es, dass er nicht den Verstand darüber verloren hat. Er hatte einen ausgezeichneten Instinkt fürs Geschäft, aber seine Ehe kostete ihn unglaublich viel Kraft, und das hat ihm die Freude an allem, auch am beruflichen Erfolg, genommen. In den vergangenen zwölf Monaten ließ er die Dinge einfach laufen. Es ist wirklich traurig.«
»Ja, das stimmt. Ich hätte ihn glücklich machen können, das weiß ich«, sagte Emily tief bewegt.
»Das bezweifle ich nicht, Miss Rosewell. Mr. Jansen wollte seine Frau viele Male verlassen, aber sie hat ihn mit allen nur denkbaren Tricks an sich gefesselt.« Wie oft hatte sie die Schwerkranke gespielt und dafür gesorgt, dass der Arzt ihrem Mann dringend riet, ein stabiles Umfeld von Sicherheit und Geborgenheit zu schaffen, damit sie wieder gesund würde. Dann war Joe nicht von ihrer Seite gewichen. Kaum hatte er ihr versprochen, sie nicht allein zu lassen, ging es ihr schlagartig wieder besser.
»Was wird jetzt aus Carmel werden?«, fragte Emily.
»Es sieht nicht allzu rosig für sie aus. Justin und Jennifer sind viel zu egoistisch, als dass sie sich um sie kümmern würden, deshalb vermute ich, sie werden sie in ein Heim stecken. Und das wird sie sicher nicht lange überleben. Bisher konnte sie sich die beste Pflege leisten, die für Geld zu haben war, aber das ist jetzt vorbei.«
Emily nickte. Sie bedankte sich noch einmal bei Mr. Smithson, und dann verabschiedeten sie und Ruby sich von ihm mit dem Versprechen, in Kontakt zu bleiben.
Ruby verließ das Haus wenig später noch einmal, um einen Kopfsalat und Tomaten fürs Abendessen zu besorgen. Als sie zurückkam, war Emily ganz außer sich.
»Was ist denn passiert, Mom?«
»Gerade hat jemand von der Hausverwaltung wegen der Miete angerufen.«
»Und? Die Miete ist doch erst Montag fällig, oder nicht?«
»Den ganzen letzten Monat ist keine Miete eingegangen!«
»Was?« Ruby starrte ihre Mutter erschrocken an.
»Wenn wir die Rückstände nicht bis nächsten Freitag bezahlt haben, werden sie die Wohnung räumen lassen«, jammerte Emily.
Panik stieg in Ruby auf. »Aber wie sollen wir in so kurzer Zeit das Geld auftreiben? Das ist unmöglich!«
»Ich weiß. Deshalb habe ich gerade mit deiner Tante Teresa telefoniert.«
»Du hast sie doch hoffentlich nicht gebeten, uns etwas zu leihen, oder?« Ruby wusste, dass ihre Tante selbst nicht viel zum Leben hatte.
»Nein, natürlich nicht. Seit Wallys Tod muss sie jeden Penny zweimal umdrehen. Aber sie hat gesagt, wir können bei ihr wohnen. Dann haben wir wenigstens ein Dach über dem Kopf.«
Ruby riss die Augen auf. »Ich will aber nicht nach Fern Bay! Das ist ein Kuhkaff!« Sie waren zweimal in den Ferien dort gewesen. Der kleine Ort war ganz nett, aber nur für Urlauber.
»Fern Bay ist kein Kuhkaff«, protestierte Emily pikiert.
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