Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Hauch des Abendwindes

Im Hauch des Abendwindes

Titel: Im Hauch des Abendwindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
Vom Netzwerk:
sagte Ruby seufzend. Sie war zu müde, um auf alle Einzelheiten einzugehen. Seit fünf Uhr früh war sie auf den Beinen, was sich jetzt in Übermüdung und einer völligen geistigen und körperlichen Erschöpfung bemerkbar machte. »Ich will nach Silverton, ins Silverton Hotel«, murmelte sie und gähnte. »Ist es noch weit bis dorthin?«
    »Nein, ein paar Minuten zu Fuß.«
    »Gott sei Dank. Hoffentlich haben die schöne Zimmer dort. Ich kann’s kaum erwarten, ein wohliges Bad zu nehmen und dann in ein weiches Bett zu fallen.«
    »Es gibt keine Zimmer im Hotel«, meinte Girra.
    »Was?«
    »Keine Zimmer«, wiederholte das Mädchen kopfschüttelnd.
    »Ein Hotel ohne Gästezimmer? Was für ein Hotel ist das denn?« Ruby konnte es nicht fassen. »Aber es gibt doch sicher andere Übernachtungsmöglichkeiten in der Stadt, oder?«
    »Nein.« Wieder schüttelte Girra den Kopf. »Niemand kommt zum Übernachten nach Silverton.«
    Ruby klappte die Kinnlade herunter. »Na wunderbar«, murmelte sie. Die beiden Kinder hatten sich auf der anderen Seite des Feuers auf einer alten Decke schlafen gelegt. »Willst du die Kleinen nicht nach Hause bringen?«
    »Eigentlich wollten wir heute Nacht hier unser Lager aufschlagen, aber ich hab Angst, dass Charlie zurückkommt.« Girra blickte sich ängstlich um.
    »Ihr habt doch bestimmt ein Zuhause, wo ihr hingehen könnt?« Ruby verstand nicht, wo das Problem war.
    »Kein festes Zuhause.« Girra schüttelte den Kopf. »Wir campieren immer woanders.«
    Ruby, die noch nie jemanden kennengelernt hatte, der kein Dach über dem Kopf hatte, war bestürzt. »Und wovon lebt ihr? Haben eure Eltern euch wenigstens Geld für Essen dagelassen?«
    »Sie haben kein Geld. Wir ernähren uns von dem, was das Land uns gibt. Und es gibt reichlich Nahrung, überall, man muss nur wissen, wo man suchen muss«, sagte Girra stolz. Einen Augenblick später verdüsterte sich ihre Miene. »Charlie Gillard schenkt mir manchmal ein Stück Brot oder Obst aus seinem Laden, aber wenn er im Pub war, versucht er hinterher immer, mich in sein Haus zu kriegen. Ich will nicht mit ihm gehen. Er sollte das Trinken sein lassen. Er spielt jedes Mal verrückt, wenn er getrunken hat.«
    Ruby wurde wütend, als sie das hörte. Dieser Charlie Gillard war ein geiler alter Mann, und falls sie ihn je wiedersehen sollte, würde sie ihm das sagen.
    Girra schaute sich nach allen Seiten um, dann sagte sie: »Ich geh jetzt besser.« Sie fasste die schlafenden Kinder an den Händen und zog sie auf die Füße.
    »Wo willst du denn hin?« Die Kleinen taten Ruby leid. Sie wirkten erschöpft, und der Junge begann zu weinen.
    »Charlie hat gedroht, er werde dafür sorgen, dass die Regierung mir Myall und Oola wegnimmt. Ich muss sie verstecken.«
    Wovon redete das Mädchen denn? »Warte!«, rief sie ihr nach, aber Girra stapfte mit den Kindern davon.
    Ruby überlegte, was sie tun sollte. Einerseits wäre sie gern weitergegangen, aber sie war so schrecklich müde, und ihre Füße taten so weh. Und was sollte sie in Silverton, wenn es dort keine Übernachtungsmöglichkeit gab? Das Feuer brannte langsam herunter, und Ruby starrte erschöpft in die Flammen. Irgendwann fielen ihr die Augen zu, und sie legte sich auf die Decke, die Girra zurückgelassen hatte. Sie war im Nu eingeschlafen.
    Ruby schreckte aus dem Schlaf auf, weil jemand sie unsanft am Arm packte und schrie.
    »Steh auf, Ruby, beeil dich!«
    Ruby blinzelte verschlafen. Zuerst dachte sie, sie träume, doch dann erkannte sie Girra im ersten Tageslicht. »Lass mich, ich bin so müde«, stöhnte sie und machte sich los.
    Aber Girra ließ nicht locker. »Steh auf, steh auf, schnell, beeil dich!«, kreischte sie panisch und zerrte Ruby in eine sitzende Position hoch.
    Ein seltsames Geräusch drang durch Rubys benommenen Verstand. Ein Geräusch, wie sie es noch nie zuvor gehört hatte: ein lautes, anhaltendes Tosen. Sie drehte den Kopf und sah schäumendes braunes Wasser durch das Flussbett auf sich zurauschen. Ruby schrie vor Entsetzen auf.
    »Los, weg hier!« Wieder zerrte Girra an ihrem Arm.
    Dieses Mal kam Bewegung in Ruby. Sie sprang auf und rannte mit Girra zur Uferböschung. Sie versuchten, hinaufzuklettern, aber die Erde gab immer wieder unter ihren Füßen nach. Irgendwann bekam Ruby einen Ast zu fassen, an dem sie sich hochziehen konnte. Girra machte es ihr nach. Nur Sekunden später war die sprudelnde Flut da, eine schmutzige Brühe, die durch das Flussbett schoss.
    »Wo kommt denn das

Weitere Kostenlose Bücher