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Im Hauch des Abendwindes

Im Hauch des Abendwindes

Titel: Im Hauch des Abendwindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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viele Wasser auf einmal her?«, fragte Ruby atemlos.
    »Das heftige Gewitter gestern Abend oben im Norden. Hast du es denn nicht blitzen sehen?«
    »Doch, schon.« Ruby hatte auch das heftige Donnern gehört.
    »Das Wasser ist den Darling River runtergekommen und in den Black Hill Creek weiter nördlich geflossen.«
    Jetzt erinnerte sich Ruby wieder an Bernies Worte. Sie konnte nicht fassen, dass es ausgerechnet in der Nacht, als sie in dem ausgetrockneten Flussbett schlief, eine Überschwemmung gab.
    Der Ast, auf dem die beiden saßen, gehörte zu einem Baum, der in der Böschung wurzelte und über den Fluss hinausragte. Obwohl nur ihre Beine im Wasser hingen, konnten sie spüren, wie die Strömung an ihnen zerrte.
    »O nein, mein Koffer! Und meine Schuhe sind auch weg!«, jammerte Ruby plötzlich. »Verdammt!« Würde ihre Pechsträhne denn niemals enden?
    Doch dann beruhigte sie sich. Sie musste froh sein, noch zu leben. Wäre Girra nicht gewesen, hätte die Flut sie ebenfalls mit sich gerissen.
    Augenblicke später hörten sie jemanden rufen. Als sie aufblickten, sahen sie Charlie Gillard am anderen Ufer stehen. Er hatte Oola und Myall bei sich und hielt sie fest an den Händen. Die beiden versuchten vergeblich, sich aus seinem Griff zu winden.
    Girra stieß einen Entsetzensschrei aus.
    »Lass sie los!«, schrie sie hinüber.
    »Du hättest eben mit mir kommen sollen«, lautete die höhnische Antwort. »Jetzt werde ich dafür sorgen, dass die beiden abgeholt werden!«
    Girra zögerte keine Sekunde. Sie sprang in das Wasser, das ihr bis zu den Oberschenkeln reichte, und hielt sich an dem Ast fest, um nicht von der Strömung mitgerissen zu werden.
    »Was tust du denn da?«, rief Ruby beunruhigt. »Komm sofort wieder raus da!«
    Aber Girra hörte nicht. Sie schrie ihren Geschwistern zu, sie sollten keine Angst haben, sie komme sie holen.
    »Girra! Die Strömung ist zu stark! Bitte komm wieder raus!«, flehte Ruby.
    »Ich muss zu meinen Geschwistern!«
    »Warte, bis das Wasser abgeflossen ist. Dann werde ich dir helfen«, versprach Ruby.
    »Du wirst die beiden nie wiedersehen«, schrie Charlie über den Fluss. Er drehte sich um und lief davon, die weinenden Kinder hinter sich her zerrend.
    Wie sie vorausgesehen hatte, geriet Girra in Panik. Sie ließ den Ast los und wagte sich in das schlammige, strudelnde Wasser. Einen Augenblick später wurde sie von den Füßen gerissen und weggespült. Ruby schrie auf. Sie musste hilflos mit ansehen, wie Girra flussabwärts getrieben wurde. Nur ihr Kopf tauchte in unregelmäßigen Abständen über der Wasseroberfläche auf.
    »Helfen Sie ihr doch!«, schrie Ruby dem Mann am anderen Ufer zu.
    Charlie schaute Girra eine Weile nach und ließ ihre jüngeren Geschwister dann los. Doch anstatt dem Mädchen zu Hilfe zu kommen, entfernte er sich mit eiligen Schritten.
    »Wo wollen Sie denn hin?«, brüllte Ruby. »So helfen Sie ihr doch!«
    Als sie die beiden weinenden Kinder am Ufer entlangrennen sah, auf der Suche nach ihrer älteren Schwester, und sich vorstellte, wie sie irgendwo flussabwärts womöglich ihre Leiche fanden, zögerte sie keine Sekunde. Sie sprang in das Wasser. Es war nicht sehr tief, aber die Strömung war heimtückisch. Sie riss Ruby mit sich fort, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
    Die nächsten Minuten waren die längsten in Rubys Leben. Mit den Armen rudernd, versuchte sie, ihren Kopf über Wasser zu halten und den Ästen und Trümmern auszuweichen, die im Fluss trieben. Ein großer morscher Ast schrammte an ihrem Bein entlang und schürfte die Haut auf. Nach einer Ewigkeit, wie ihr schien, ließ der Sog des Wassers nach. Ruby kam, wenn auch mit viel Mühe, wieder auf die Beine. Sie strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Und dann entdeckte sie Girra. Sie war nicht weit von ihr entfernt ans Ufer gespült worden, wo sie verzweifelt versuchte, sich an irgendetwas festzuklammern.
    »Girra!«
    Ruby kämpfte sich weiter durch die schlammigen Fluten. Sie strauchelte, knickte um, verzog das Gesicht vor Schmerzen, weil sie mit den Knien immer wieder gegen Steine prallte. Endlich hatte sie das flache Wasser in Ufernähe erreicht. Auf allen vieren kletterte sie die Böschung hinauf und schleppte sich weiter bis dorthin, wo Girra sich an einen Felsblock klammerte. Dann rutschte sie wieder ein Stück hinunter, packte Girras Arm und zog sie aus dem Wasser.
    Als das Mädchen festen Boden unter den Füßen hatte, fiel sie auf die Knie und erbrach das schmutzige

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