Im Hauch des Abendwindes
mir bei ihm etwas geholt.«
»Etwas geholt?«, echote Jacko ganz konfus.
»Den Tripper, du Hornochse!«, klärte Ernie ihn auf.
Jacko wurde knallrot. »Ach so!«
Ausnahmslos jeder im Lokal starrte Ruby jetzt an, und sie bereute ihre Offenheit bereits. Doch dann, zu ihrer Verwunderung, brachen alle in schallendes Gelächter aus.
»Gut gemacht, Schätzchen!«, lobte Agatha mit Lachtränen in den Augen. »Du hast eine Menge Fantasie, scheint mir.«
»Ja, das stimmt.« Ruby nickte. »Die Rache war wirklich süß, aber nur eine kleine Weile. Als ich nach Hause kam, erzählte meine Mutter mir die Geschichte von meinem Vater. Da war er all die Jahre am Leben gewesen, und ich habe ihn nie kennengelernt. Habt ihr eine Ahnung, wie weh das tat?«
Ein kleiner Schluchzer stieg ihr in der Kehle auf. Der Alkohol machte sie rührselig. Die Einheimischen dachten, sie liefere die Vorstellung ihres Lebens. Aber sie spielten mit.
»Armes Schätzchen.« Agatha rieb ihr tröstend über den Arm. »Da hast du aber ganz schön was mitgemacht, hm?«
»Ja, und jetzt bin ich hier und kann nicht mal mit Jed Monroe sprechen, damit er mir meinen Anteil an dem Pferd abkauft«, murmelte Ruby seufzend. Sie bemerkte nicht, wie die anderen Gäste vielsagende Blicke wechselten. Ein paar Sekunden herrschte Schweigen, dann fragte sie: »Wo ist er gleich noch mal hingefahren?«
»Wir wissen es nicht«, antwortete Barnsey. »Er trainiert sein Pferd mal da, mal dort.«
Ruby stieß abermals einen tiefen Seufzer aus. »Na ja, wenigstens kann ich mich damit trösten, dass ich nicht die Einzige bin, die ihn sucht und nicht findet.«
»Was meinst du damit?« Mick Doherty, der sich lässig auf die Theke gestützt hatte, richtete sich beunruhigt auf. »Wer sucht denn noch nach ihm?«
»Zwei Männer in einem Ford Pick-up.«
Schweigen trat ein. Fast eine geschlagene Minute sagte niemand etwas.
»Wo hast du die beiden denn gesehen?«, fragte Barnsey dann, wobei er Mick mit einem flüchtigen Blick streifte.
»Unten am Fluss, so gegen Mittag«, erwiderte Ruby und gähnte zerstreut. »Sie kamen drüben von der anderen Seite angefahren und haben gehalten und gefragt, ob man den Fluss gefahrlos durchqueren könne. Das fragen die ausgerechnet mich! Wo ich fast im Fluss ertrunken wäre.« Sie zuckte mit den Achseln.
»Was haben sie sonst noch gesagt?«, forschte Mick.
»Nicht viel. Sie wollten wissen, ob ich Jed Monroe kenne, sie wollten mit ihm reden, sagten sie. Ich sei ihm nie begegnet, habe ich geantwortet, und das stimmt ja auch.«
»Und was ist dann passiert?«, fragte Mick betont beiläufig.
»Sie sind wieder eingestiegen, haben gewendet und sind in Richtung Broken Hill davongefahren.«
»Haben sie erwähnt, ob sie zurückkommen werden?«
»Nein. Ich hab noch gefragt, ob ich Jed Monroe etwas ausrichten soll, falls ich ihn treffe, aber sie meinten, ich solle nichts sagen, sie wollten ihn überraschen.«
»So?« Ein wachsamer Ausdruck trat auf Micks Gesicht. »Das ist ja interessant.«
11
Es war kurz vor Mitternacht, und Myra Cratchley war gerade eingeschlafen, als sie von einem Motorengeräusch wieder geweckt wurde. Reifen knirschten über den steinigen Boden, Autotüren wurden geöffnet und fielen zu, gedämpfte Stimmen drangen an ihr Ohr. Eine Sekunde später war sie hellwach.
»Ich kann allein gehen, vielen Dank«, lallte Ruby.
»Schsch!«, machte eine Frauenstimme. »Nicht so laut! Myra schläft bestimmt schon. Sie steht ja immer mit den Hühnern auf.«
Ruby kicherte. »La-le-lu, und der Mond im Mann schaut zu«, grölte sie, brach ab und giggelte: »Hoppla! Ich meine natürlich, der Mann im Mond schaut zu …«
»Nicht so laut!«, ermahnte eine Frauenstimme zum zweiten Mal.
Myra stand auf, ging durch den Flur und trat aus dem Haus. Jacko und Harold McGuire gingen gerade wieder zu Harolds Auto zurück. Betty saß hinten im Fond. Sie saß immer hinten, wie die englische Königin, selbst wenn sie mit Harold allein im Auto fuhr.
»Bist du sicher, dass du hier übernachten kannst, Schätzchen?«, fragte Betty skeptisch durch das offene Fenster. Sie kannte Myra und wusste, dass sie lieber für sich blieb, daher kam es ihr merkwürdig vor, dass sie eine ihr fremde Person bei sich wohnen ließ.
»Hab ich doch gesagt, oder nicht?«, nuschelte Ruby. »Myra und ich verstehen uns glänzend.« Sie hickste laut und schlug sich dann kichernd die Hand vor den Mund.
»Es stimmt, was sie sagt«, bekräftigte Myra, als sie, den Gürtel ihres
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