Im Hauch des Abendwindes
Mick das Pferd an ihm vorbei zu dem nicht mehr benutzten Eingang führte, klappte ihm der Unterkiefer herunter.
»Du wirst doch nicht …«
»Doch, genau das werde ich«, sagte Mick und brachte Flake, als wäre es das Selbstverständlichste, in die Bar.
Jed hörte das Klappern der Hufe auf dem Holzboden. Er drehte den Kopf und konnte es nicht fassen, als er Flake im Türrahmen der Vorratskammer erblickte.
Zum ersten Mal seit langer Zeit brachte er ein schwaches Lächeln zustande. »Hallo, mein Mädchen«, sagte er und streckte seine Hand aus.
Flakes Ohren zuckten vor und zurück, sie lief zu ihm, schnaubte leise und beschnupperte seine Hand.
Mick lächelte. »Flake fühlt sich einsam im Schuppen. Schätze, jetzt ist euch beiden geholfen.«
»Ein Pferd in einem Pub verstößt doch bestimmt gegen alle möglichen Hygienevorschriften, oder?«
»Mag sein«, erwiderte Mick gleichgültig. »Aber wenn die Leute ihre Hunde mit reinbringen dürfen, warum soll dann nicht auch ein Pferd hereindürfen?«
Jed musste abermals lächeln. Unter Micks rauer Schale steckte ein weicher Kern, auch wenn er sich große Mühe gab, das zu verheimlichen.
»Und solange sie hier hinten bleibt, hat bestimmt niemand was dagegen. Hier drinnen, wo wir beide auf sie aufpassen können, ist es auch sicherer als draußen im Schuppen.«
Jed nickte zustimmend. »Du bist ein wirklich guter Freund, Mick. Danke für alles.«
Mick zuckte mit den Schultern. »Du würdest das Gleiche doch auch für mich machen.«
»Verlass dich lieber nicht darauf«, flachste Jed und lachte, verstummte aber sofort wieder und hielt sich seine schmerzende Seite.
»Das hast du jetzt davon«, grinste Mick. »Geschieht dir ganz recht.«
Obwohl in Rubys Laden an diesem Tag viel los war, schweiften ihre Gedanken immer wieder ab. Jed und seine Halsstarrigkeit gingen ihr einfach nicht aus dem Kopf. Als Jim McLeash mit Martin O’Flaherty hereinkam, beschloss sie, die beiden zu fragen, was sie von der Heilkunst der Ureinwohner hielten. Sie erzählte ihnen von dem Schlamm, der angeblich heilende Wirkung bei Rippenprellungen hatte.
Jim nickte. »Das ist gut möglich. Mein Cousin Gerry arbeitete früher auf einer von Sidney Kidmans Rinderranches im Kimberley und hatte einen schweren Unfall. Dass er noch lebt, hat er nur der Heilkunst der Ureinwohner zu verdanken.«
»Was ist denn passiert?«, fragte Ruby aufrichtig interessiert.
»Gerry trieb mit ein paar eingeborenen Viehhirten Rinder zusammen, etliche hundert Kilometer von der Ranch entfernt, als sein Pferd vor einer Schlange scheute und ihn abwarf, ausgerechnet an einem alten Zaun rings um einen stillgelegten Brunnen. Er spießte sich das Bein an einem Pflock auf und verletzte sich den Arm am Stacheldraht. Es hätte Tage gedauert, zur Ranch zurückzureiten, wo sie den Arzt hätten verständigen können, damit er mit dem Flugzeug herausgeflogen käme. Also haben die Aborigines seine Wunden an Ort und Stelle versorgt, so gut sie konnten. Gerry sagt, wären sie nicht gewesen, wäre er jetzt nicht mehr am Leben.«
»Und was haben sie gemacht?«, fragte Ruby gespannt.
»So genau weiß ich das nicht, aber ich erinnere mich, dass er etwas von einem Brei aus Pflanzen und Lehm erzählt hat, der zum Desinfizieren und Heilen auf die Wunden aufgetragen wurde. Gerry sagt, er hätte bei der Hitze sonst garantiert innerhalb von zwölf Stunden eine Blutvergiftung bekommen, zumal der Stacheldraht rostig gewesen war. Er zieht seitdem zwar sein Bein ein bisschen nach, aber er kann von Glück sagen, dass er überhaupt noch laufen kann.«
»Das ist ja unglaublich«, staunte Ruby.
Jetzt fiel auch Martin eine Geschichte zu dem Thema ein. »Ein Freund von mir lebte eine Zeit lang in Wilcannia. Vor ein paar Jahren bekam er plötzlich einen Ausschlag am ganzen Körper. Als er ins Krankenhaus ging, meinte der Arzt, das sei eine allergische Reaktion. Er gab ihm Spritzen und Salben, aber nichts half. Sie wollten ihn zu einem Spezialisten in die Stadt schicken, aber mein Freund leitete das Postamt und hatte keine Vertretung. Die Ekzeme auf seiner Haut wurden immer größer und juckten wie verrückt. Er wusste nicht mehr, was er noch machen sollte. In seiner Not wandte er sich an die Aborigines. Sie stellten eine Salbe für ihn zusammen, eine Mischung aus Tierfett und einem Sud aus Gräsern, die sie vierundzwanzig Stunden in Wasser hatten ziehen lassen.«
Ruby ließ ihre Schere sinken. »Gewöhnliches Gras?« So simpel war das Ganze?
»Nicht
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