Im Hauch des Abendwindes
warteten bereits auf ihn. Sie hatten diese Stelle ausgesucht, weil die ausladenden Äste eines Eukalyptusbaumes Schatten spendeten. Da die beiden älteren Frauen, vor allem Kiah, nicht besonders gut Englisch sprachen, übernahm Girra die Rolle der Dolmetscherin. Jed musste sich bis auf die Unterwäsche ausziehen und sich in eine grabähnliche Vertiefung am Ufer legen. Dann bedeckten die Frauen ihn mit Schlamm; nur Kopf, Unterarme und Hände blieben frei. Mit Flusswasser, das sich in einer kleinen Mulde gesammelt hatte, wurde der Schlamm übergossen, weil er gleichmäßig feucht bleiben musste.
»Und, wie ist es?« Mick blickte auf Jed hinunter, der sich schutzlos und ausgeliefert fühlte.
»Der Schlamm fühlt sich kühl an und erstaunlich schwer.« Jed versuchte unbeholfen, die Fliegen von seinem Gesicht zu verscheuchen. »Hoffentlich hält mir jemand die Käfer und Ameisen vom Kopf fern«, brummelte er. Er war überrascht, wie gut diese Schlammpackung tat. Es war eine wahre Wohltat, ausnahmsweise einmal nicht zu schwitzen. Sein Brustkorb schmerzte zwar sogar bei jedem etwas kräftigeren Atemzug, aber die erfrischende Kühle des Schlamms lenkte ihn ab. »Wie lange muss der Schlamm denn draufbleiben?«, fragte er Girra.
Sie besprach sich mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter und übersetzte ihm dann, was sie gesagt hatten. »Wenn die Sonne hoch am Himmel steht«, sagte sie und zeigte nach oben, »kannst du aufstehen.«
»Schön, dann werde ich dich gegen Mittag wieder abholen, mein Junge«, meinte Mick und ging zu seinem Ute zurück.
Jed blickte ihm nach. Ihm war ein bisschen mulmig zumute, so ganz allein mit den Frauen. Die drei unterhielten sich, und dann erklärte Girra ihm, die Behandlung müsse vier, besser noch fünf Tage hintereinander durchgeführt werden.
Jinny machte ein paar Schritte entfernt Feuer, setzte sich mit Kiah hin und schwatzte mit ihr, während Girra loszog, um etwas Essbares zu suchen. Sie kam bald darauf mit einer Echse und ein paar Jamswurzeln zurück und warf alles miteinander in die Glut. Jinny und Kiah überprüften in regelmäßigen Abständen, ob der Schlamm noch feucht genug war. Wenn nicht, gossen sie wieder ein wenig Wasser darüber. Jed machte die Augen zu und versuchte, sich zu entspannen. Nach einer Weile hörte er ein leises Scharren dicht neben sich. Als er erschrocken die Augen aufriss, sah er eine der Frauen mit einem Stock eine riesige Ameise von seinem Ohr schnippen. Die Frauen plapperten miteinander und gestikulierten lebhaft, und Jed glaubte zu verstehen, dass sein Ohr angeschwollen wäre wie ein Ballon, wenn die Ameise ihn gezwickt hätte. Sie schienen das sehr komisch zu finden, aber er konnte gar nicht darüber lachen.
»Kennst du jemanden, dem diese Behandlung geholfen hat?«, fragte er Girra. Er hatte keine Lust, seine Zeit zu verschwenden. »Ich meine, jemanden mit der gleichen Verletzung wie ich.« Ihm fiel das Misstrauen in ihrem Blick auf, ihre höfliche, aber reservierte Haltung.
Girra wandte sich an ihre Mutter und ihre Großmutter, hörte zu, nickte. Dann sah sie Jed an. »Mein Vater fiel von einem Baum, als er noch klein war, und hat sich hier verletzt.« Sie legte die Hand auf ihre Rippen. »Er hatte schlimme Schmerzen. Da hat meine Großmutter ihn auch mit Schlamm behandelt.«
»Wo? Hier?«
»Nein, im Norden, am Darling River.«
»Und er wurde wieder gesund?«, fragte Jed skeptisch und hoffnungsvoll zugleich.
Girra sprach mit ihrer Großmutter, und Jed sah, wie diese nickte.
Er beobachtete die Frauen unauffällig. Kiah war hager und wirkte fast zerbrechlich. Jinny hatte magere Beine, aber einen rundlichen Körper. Die beiden trugen farbenfrohe Kleidung und hatten sich Tücher um den Kopf gebunden, gingen aber barfuß. Girra hatte ein schlichtes Kleid an, ihre langen Haare hingen ihr offen über den Rücken. Sie war ein hübsches Mädchen. Jed wusste, dass das den Männern in der Stadt nicht verborgen blieb.
Er wusste auch, dass Girra schon viel Leid in ihrem jungen Leben erlebt hatte. Mindestens zwei Kinder, denen sie sehr nahestand, waren in staatlich geleitete Waisenhäuser gesteckt worden. Die Mutter der beiden war an gebrochenem Herzen gestorben, erzählte man sich. Vermutlich war das der Grund für Girras Wachsamkeit und ihr Misstrauen den Weißen gegenüber. Wer konnte es ihr unter diesen Umständen verdenken?
Während die beiden älteren Frauen in einem fort schwatzten, mal nachdenklich oder bedrückt dreinblickten, mal schallend
Weitere Kostenlose Bücher