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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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sich von ihm die astrologischen Aussichten voraussagen zu lassen. Zu diesem Zweck brauchte er aber die Mittel, um eine neue Sternwarte zu bauen und dort ein breites Spektrum astronomischer Messungen anzustellen. Der Bau des Observatoriums von Maragha begann 1259 östlich von Teheran, und wenig später war der Ort das weltweit größte Zentrum für Astronomie. Sein Kernstück – anstelle der heutigen riesigen Teleskope – war ein gewaltiges Bauwerk aus Ziegelsteinen mit einem daran befestigten Bogen aus Metall, der in Richtung des Meridians verlief. Dieser sogenannte Mauersextant (oder Fakhri-Sextant) war mehrere Meter hoch und trug eine Skala mit Gradeinteilung, Bogenminuten und sogar Bogensekunden. Die Astronomen stellten mit einem Zeigerarm (Dioptra), der hier als Alidade bezeichnet wurde (vom arabischen al-’idada = »markiertes Lineal«), eine gerade Blicklinie zu dem untersuchten Himmelskörper her und lasen dann die Gradeinteilung ab, womit sie die genaue Position des Objekts am Himmel eindeutig ermittelt hatten. Zur Handhabung des riesigen Zeigerarmes diente ein System von Gegengewichten und Flaschenzügen. [196]
    Al-Tusi sammelte um sich eine große Gruppe begabter Astronomen. Sein Ruf hatte sich mittlerweile weit verbreitet, und er zog sogar Gelehrte aus China an, die bei ihm arbeiten wollten. Seine vollendete zij , die »Tafel von Ilchane«, war ein Meisterwerk. Aber das Gleiche kann man über viele Arbeiten von al-Tusi sagen. In seinem Buch Die Transversalfigur ( Shakl al-Qita ’) vervollständigte und erweiterte er die Arbeiten der islamischen Mathematiker über Trigonometrie; das Werk gilt als das erste, das der Trigonometrie als unabhängigem Teilgebiet der Mathematik gewidmet war und nicht nur bestimmte »Methoden« im Dienste der Astronomie behandelte. Er erweiterte darin zum ersten Mal den »Sinussatz«, ein allgemein bekanntes Theorem, von Ebenen auf sphärische Dreiecke und führte in der Zahlentheorie die Arbeiten von Mathematikern wie Omar Khayyam fort. Außerdem schrieb er viel über Philosophie und Logik, und er trug entscheidend dazu bei, den wissenschaftlichen Forschergeist in der islamischen Welt am Leben zu erhalten, nachdem die Mongolen so viele große Zentren der Gelehrsamkeit, darunter auch die großen Bibliotheken in Bagdad, zerstört hatten.
    Maragha wurde unter al-Tusi zu viel mehr als nur einer Sternwarte: Es sollte für die Wiederbelebung vieler Wissenschaften eine wichtige Rolle spielen. Am wichtigsten war, dass die Revolution von Maragha ihm ihren Namen verdankt. Die Denkschule, die von den Historikern heute so genannt wird, stellte sich einer Herausforderung, die Ibn al-Hayytham als Erster formuliert hatte: die Astronomie des Ptolemäus zu korrigieren.
    Al-Tusis einflussreichstes Buch, die Denkschrift über Astronomie ( al-Tadhkira fi ’Ilm al-Hay’a ), gilt allgemein als das wichtigste und originellste Werk über Astronomie aus dem Mittelalter. Darin beschreibt al-Tusi eine geometrische Konstruktion, die heute als Tusi-Paare [197] bezeichnet wird: Ein kleiner Kreis rotiert entlang der Innenseite eines zweiten Kreises mit doppeltem Durchmesser. Der kluge Aspekt dabei: Ein Punkt auf dem kleineren Kreis scheint in einer gradlinigen Bewegung entlang eines Durchmessers des größeren Kreises hin und her zu schwanken. Mit Hilfe dieser Konstruktion gelang es al-Tusi, die ptolemäischen Modelle für die Planetenbahnen zu reformieren, wobei er völlig ohne die unangenehmen Äquanten auskam.
    Das Einzige, was man heute an den Ruinen des Komplexes von Maragha noch sehen kann, ist das Fundament eines riesigen Zeigerarmes, der das Kernstück der Anlage darstellte. Früher gab es aber auch Arbeitsräume, Bibliotheken und sogar eine Moschee; das Ganze summierte sich zu einer vollständigen Forschungsinstitution, wie es sie in ähnlicher Form auch heute gibt. Neben al-Tusi war dort eine Reihe anderer bemerkenswerter Astronomen tätig, unter ihnen al-’Urdi und al-Shirazi, die sich ebenfalls mit den mathematischen Modellen der ptolemäischen Astronomie auseinandersetzten. Wenn wir aber heute die Astronomen der Schule von Maragha erwähnen, beschränken wir uns nicht auf jene, die in der Sternwarte selbst arbeiteten. Damit bin ich bei der zweiten Persönlichkeit, die ich vorstellen muss, bevor ich zu Kopernikus zurückkehren kann.
    Im 12. und 13. Jahrhundert kam es zu einer interessanten Neuorientierung im Hinblick darauf, wie die Astronomie aufgenommen und von den islamischen Herrschern

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