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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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dem Kopernikus in so enge Verbindung gebracht wird. Wenn man unter der kopernikanischen Revolution versteht, dass durch sie das geozentrische Weltbild aufgegeben und das heliozentrische übernommen wurde, was Kopernikus’ Meisterstück war, dann ist klar, dass er der unangefochtene Vorreiter dieser Revolution bleibt und dass es in der arabischen Astronomie kein Vorbild gibt, das in irgendeiner Form dem heliozentrischen Weltbild ähnelt. [202]
    Man kann hier einen hübschen Vergleich mit der Entwicklung von Einsteins Spezieller Relativitätstheorie zu Beginn des 20. Jahrhunderts anstellen. Ich möchte deshalb kurz abschweifen und Einsteins Ideen beschreiben, um damit deutlich zu machen, um welche Analogie es mir geht.
    Die Relativitätstheorie besagt, dass verschiedene Beobachter, die sich relativ zueinander bewegen, zu unterschiedlichen Ansichten über Entfernungen und zeitliche Abstände zwischen zwei Ereignissen gelangen. Da aber keiner von sich behaupten kann, sich in einem bevorrechtigten Bezugsrahmen zu befinden, löst sich die Vorstellung von absoluten Längen und Zeiträumen auf. Dies ist nur zu verstehen, wenn man die Begriffe von Raum und Zeit vereinigt, die mathematisch durch eine Reihe von Gleichungen verflochten sind, die Lorentz-Transformationen (nach dem Niederländer Hendrik Lorentz, der sie ein Jahr vor der Veröffentlichung von Einsteins Arbeit erstmals zu Papier brachte). Viele Voraussetzungen für die Relativitätstheorie waren bereits vor Einstein geschaffen worden, und eine frühere Form der Gleichungen hatten Lorentz und der irische Physiker George Fitzgerald unabhängig voneinander bereits in den 1890er Jahren formuliert, um damit ein berühmtes Experiment zur Fortpflanzung des Lichtes zu erklären.
    Das Problem dabei: Lorentz und Fitzgerald hatten zwar die richtigen Gleichungen und waren zu der richtigen Antwort gelangt, aber aus dem falschen Grund. Sie interpretierten die tatsächlichen Abläufe falsch, weil sie an der weitverbreiteten Vorstellung von einem alles durchdringenden »Äther« festhielten, von dem man glaubte, er trage die Lichtwellen durch den Raum. Einsteins große Leistung war ein einfaches Postulat, mit dem er die richtige Interpretation für die physikalischen Befunde liefern konnte. Die Vorstellung, Licht brauche eine Art Medium, von dem es weitergetragen wird – ganz ähnlich wie eine Wasserwelle sich nur im Wasser fortpflanzen kann – ist, wie Einstein zeigen konnte, unnötig. Als er die kluge Vermutung äußerte, ein Lichtstrahl könne nicht nur durch den leeren Raum wandern, sondern man werde bei einer Messung seiner Geschwindigkeit auch immer zu dem gleichen Ergebnis gelangen, ganz gleich, wie schnell man sich selbst relativ zu ihm bewegt, passten die Puzzleteile plötzlich zusammen.
    Dieses entscheidende Konzept und die nachfolgenden Gedanken zur Vereinheitlichung von Raum und Zeit verschaffen uns ein viel tiefergehendes Verständnis für unsere Welt. Die Gleichungen von Lorentz und Fitzgerald erwiesen sich zwar mathematisch als richtig, aber erst Einstein sorgte für ihre richtige Interpretation. Wie man daran erkennt, kommt man mit einer guten Interpretation wissenschaftlicher Theorien der Wahrheit näher, denn ohne stichhaltige Interpretation würde man nach wie vor im Dunkeln tappen, ganz gleich, wie gut die Theorie mit den Experimenten übereinstimmt.
    Das Gleiche kann man auch über Kopernikus sagen. Die Astronomen von Maragha mochten die richtigen mathematischen Methoden entwickelt haben, aber erst Kopernikus wandte sie vor dem Hintergrund der richtigen Interpretation an. Alle, die vor ihm kamen, hatten entweder die richtige heliozentrische Kosmologie vorgeschlagen, ohne die mathematisch-theoretischen Grundlagen zu liefern, oder sie hatten eine mathematische Theorie formuliert, diese aber auf das falsche physikalische System angewandt. Erst Kopernikus führte beides mit seiner Kombination aus Mut und Erkenntnis zusammen. Kurz gesagt, machte er die philosophische Idee eines heliozentrischen Weltbildes zu einer mathematischen Theorie mit Voraussagekraft.

    Bevor wir diesen Teil der Geschichte verlassen, muss ich noch eine abschließende Bemerkung machen. Kopernikus lieferte uns natürlich keine richtige wissenschaftliche Theorie. Sein mathematisches Modell gründete sich auf ein hypothetisches Bild des physikalischen Universums, denn das Gravitationsgesetz kannte er noch nicht. Er verbesserte zwar Ptolemäus’ Kosmologie, indem er die Erde aus dem Zentrum des

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