Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
finanziert wurde. Diese betrachteten ihre Verbindungen zur Astrologie zunehmend mit Misstrauen. Anders als al-Tusi, der sich die Finanzierung für ein neues Observatorium nur durch die Erstellung astrologischer Diagramme für den Mongolenherrscher Hulagu sichern konnte, wehrten sich viele islamische Astronomen zunehmend gegen religiöses Mäzenatentum, das Arbeiten forderte, die ausschließlich im Dienste der Religion standen. Damit befreiten sie sich von dem Druck, ihre politischen Schirmherren mit unwissenschaftlichen, von Aberglauben geprägten Tätigkeiten wohlgesonnen zu stimmen (insbesondere al-Biruni war bekanntermaßen überhaupt nicht glücklich darüber, dass er sein Einkommen mit astrologischen Arbeiten aufstocken musste). Deshalb kann man feststellen, dass die meisten astrologischen Arbeiten außerhalb von Maragha durch die muwaqqits ausgeführt wurden, die Zeitmesser der Moscheen, deren Aufgabe es war, anhand astronomischer Messungen und der Ablesung von Sonnenuhren die genauen Gebetszeiten festzulegen.
Der berühmteste muwaqqit war in der großen Umayyadenmoschee in Damaskus tätig. Er hieß Ibn al-Shatir (1304–1375) und gilt als größter Astronom des 14. Jahrhunderts. In der Volkskultur wurde er berühmt, weil er die genaueste und raffinierteste Sonnenuhr seiner Zeit konstruierte. Als sie fertig war, wurde ihre zeremonielle Aufstellung auf einem Mauervorsprung knapp unterhalb der Spitze eines Minaretts der Moschee den Berichten zufolge zu einem Ereignis, das von den Einwohnern von Damaskus mit großem Pomp gefeiert wurde. Auf diese Weise konnte Ibn al-Shatir seine Messungen anstellen und dann dem mu’azzin oben im Minarett den genauen Zeitpunkt angeben, zu dem er mit seinem Gebetsruf beginnen sollte. Die ursprüngliche Sonnenuhr, die sich heute im Nationalmuseum von Damaskus befindet, wurde im 19. Jahrhundert beschädigt, als ein muwaqqit namens al-Tantawi sie bewegen wollte, nachdem er zu Unrecht behauptet hatte, sie sei nicht richtig ausgerichtet. Anschließend ersetzte er sie durch eine minderwertige Kopie, die bis heute erhalten geblieben ist (siehe Farbtafel 24).
24.
Der weitgehend unbekannte Aufstellungsort von Ibn al-Shatirs Sonnenuhr auf einer vorgebauten Plattform an einem Minarett der Umayyadenmoschee in Damaskus.
Ibn al-Shatirs wichtigstes Vermächtnis für die Astronomie bestand aber darin, dass er mit Hilfe von al-Tusis mathematischem Kunstgriff die schwerfälligen Modelle von Ptolemäus überarbeitete: Er setzte neue, weitaus höher entwickelte Theorien über Sonne und Mond an ihre Stelle. In diesem Sinn gilt Ibn al-Shatir als der letzte große Astronom aus der Schule von Maragha.
Zu Kopernikus’ Zeit war die ptolemäische Astronomie den europäischen Gelehrten bereits geläufig. Insbesondere zwei von ihnen, der Österreicher Georg von Peuerbach (1423–1461) und der Deutsche Regiomontanus (1436–1476), verfassten mehrere Texte, die als wichtigste Quellen für Kopernikus’ Ausbildung dienten. Insbesondere die von ihnen gemeinsam geschriebenen Epitome zum Almagest gelten als bestes Lehrbuch aller Zeiten über die ptolemäische Astronomie. [198] Kopernikus studierte das Werk eingehend zusammen mit seinem lateinischen Exemplar des Almagest (die 1515 in Venedig gedruckte Übersetzung von Gerard von Cremona). Kopernikus interessierte sich aber nicht nur für griechische Astronomie. Aus den Epitomen erfuhr er etwas über die Arbeiten früher arabischer Astronomen wie Thabit ibn Qurra und al-Battani; er konnte auch die Tafeln von Toledo studieren und nahm später in seinem Buch De revolutionibus auf einige dieser Arbeiten Bezug.
Das alles ist nicht sonderlich überraschend. Viel aufschlussreicher ist ein flüchtiger Vergleich der geometrischen Darstellung von Planetenmodellen, die das Tusi-Paar in De revolutionibus und der Denkschrift über Astronomie von al-Tusi zeigen: Sie sehen sich bis hin zur Beschriftung der einzelnen Punkte auf den Kreisen außerordentlich ähnlich: Al-Tusis arabische Buchstaben, mit denen die einzelnen Punkte bezeichnet werden, wurden nur durch ihre lateinische Entsprechung ersetzt. [199] Am auffälligsten ist, dass Kopernikus’ Modelle für Sonne und Mond sowie für die Bewegung des Merkur genau diejenigen sind, die von Ibn al-Shatir und al-Tusi entwickelt wurden.
Der berühmte Vergleich zwischen Zeichnungen der Tusi-Paare in den Werken von al-Tusi (1261, rechts) und Kopernikus (1543). Bemerkenswert ist nicht nur die Ähnlichkeit der Formen, sondern auch
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