Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
entsprach, bewegte sich die Sonne in einem sogenannten Epizyklus, einem kleinen Kreis, dessen Mittelpunkt sich seinerseits auf einer Kreisbahn mit der Erde als Mittelpunkt bewegte. Wie Ptolemäus zeigen konnte, sind beide Modelle, die Epizyklen und die exzentrische Bahn, gleichbedeutend (siehe Farbtafel 21).
21.
Ptolemäus’ geozentrisches Universum in einer lateinischen Übersetzung des Almagest . In der Mitte steht die Erde; um sie herum sind Sonne, Planeten und Sterne außerhalb der Mondbahn in kreisförmigen Umlaufbahnen angeordnet.
Ptolemäus’ größte Errungenschaft war seine Theorie der Planetenbewegungen. Vor dem Almagest gab es offenbar kein befriedigendes theoretisches Modell, mit dem sich die recht komplizierten Bewegungen der fünf anderen bekannten Planeten erklären ließen. Ptolemäus kombinierte die beiden verschiedenen Methoden, mit denen die Bewegung der Sonne beschrieben wurde. Die Bahn eines Planeten bestand demnach aus einer Kreisbewegung auf einem Epizyklus, und der Mittelpunkt dieses Epizyklus wanderte wiederum auf einem Kreis, dessen Mittelpunkt ein wenig von der Erde entfernt war. Auch das funktionierte aber nicht ganz; Ptolemäus’ Neuerung bestand darin, dass er einen weiteren Schritt vollzog: Er führte den Begriff des Äquanten ein; das bedarf einer kurzen Erklärung.
Der Äquant ist ein imaginärer Punkt im Raum, der das Spiegelbild der Erde darstellt: Er ist ebenso weit nach der anderen Seite des Mittelpunkts des Deferenten verschoben, um den der Epizyklus eines Planeten rotiert. Das Entscheidende dabei: Er ist der Punkt, um den sich das Zentrum des Epizyklus mit einheitlicher Winkelgeschwindigkeit bewegt. Nach Ptolemäus ist der Äquant der Punkt im Raum, an dem man »sieht«, wie das Zentrum des Epizyklus eines Planeten sich mit konstanter Winkelgeschwindigkeit herumbewegt, selbst wenn es sich nicht im Mittelpunkt dieser Bahn befindet. Vom wirklichen Mittelpunkt des Deferenten aus gesehen, bewegt sich das Zentrum des Epizyklus also in einem Kreis, wobei es aber schneller und langsamer wird. Das ist alles. Wirklich einfach!
Wirklich chaotisch wurde es, als man ein Modell für die Bewegung des Mondes und die unterschiedlichen Positionen der Mondfinsternisse aufstellen wollte. Ich möchte hier nicht genauer darauf eingehen. Am Ende postulierte Ptolemäus noch mehr Kreise, die sich im Kreis bewegen. Das Ganze wurde kompliziert und unhandlich. Aber es funktionierte.
Das ptolemäische Modell für die Bewegung der Planeten um die Erde.
Kaum besser ging es der indischen Astronomie in der Zeit zwischen Ptolemäus und der Entstehung des Islam. Die ersten indischen Astronomen hatten ebenfalls ein heliozentrisches Modell postuliert. Aber die beiden herausragenden Gestalten der mittelalterlichen indischen Wissenschaft, Aryabhata und Brahmagupta, gaben es offenbar nach eingehender Überlegung zugunsten eines geozentrischen Modells auf; sie hatten allerdings richtigerweise eine kugelförmige Erde postuliert, die um ihre Achse rotiert. Insgesamt betrachtet, entwickelte sich die indische Astronomie auf der Grundlage griechischer Gedanken aus der Zeit vor Ptolemäus, [195] was höchstwahrscheinlich den viel früheren Kontakten mit griechischem Wissen zur Zeit Alexanders des Großen und des nachfolgenden indisch-griechischen Reiches zu verdanken war. Aryabhata und Brahmagupta hatten auch in der Frühzeit des Islam großen Einfluss auf die Astronomie, aber letztlich war es vor allem Ptolemäus, der die Fundamente für die mittelalterliche Astronomie legte.
Machen wir also jetzt einen Sprung ins 11. Jahrhundert. Wie wir bereits erfahren haben, brachte Ibn al-Haytham den shukuk -Ball ins Rollen, indem er Zweifel an Ptolemäus’ Astronomie anmeldete. Er trennte die beobachtende Astronomie von der Kosmologie und tat damit in einem gewissen Sinn das, wofür Newton berühmt wurde, als er über 600 Jahre später die Physik von der Philosophie trennte. Aber auch wenn viele Gelehrte von Zentralasien bis nach Spanien sich durch Ibn al-Haythams shukuk -Bewegung dazu anregen ließen, die mathematischen Modelle der Griechen ernsthaft in Frage zu stellen, hatte sie doch eine wichtige Schwäche: Sie hielt unverbrüchlich am geozentrischen Modell fest. Die Gelehrten bemühten sich zwar darum, komplizierte Äquanten und Epizyklen loszuwerden, aber das taten sie ausschließlich zu dem Zweck, zum aristotelischen Ideal der vollkommenen, konzentrischen Sphären zurückzukehren, in dem die Erde genau im Zentrum
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