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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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aller Drehbewegungen stand.
    Ibn al-Haytham vertrat die Ansicht, Ptolemäus’ kosmologisches Modell sei physikalisch einfach nicht möglich: Es kann keine Kugel geben, deren Rotationsachse nicht durch ihren Mittelpunkt verläuft – dies hätte eine »Wackelbewegung« zur Folge, für die man mit Sicherheit eine Erklärung finden müsste. Natürlich wusste Ibn al-Haytham nichts über Gravitationsgesetze oder den Begriff des Schwerpunktes, aber als er darauf beharrte, ein mathematisches Modell solle die physikalische Realität widerspiegeln, war er intuitiv auf der richtigen Fährte. Die Grundlage der gesamten shukuk -Bewegung, die er in der Astronomie anstieß, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Erkenne kein kosmologisches Modell an, das physikalisch unmöglich ist.
    Ganz leise waren einige einsame Stimmen zu vernehmen, die sich für eine echte Revolution in der Astronomie aussprachen – das heliozentrische Modell war nicht völlig von der Bildfläche verschwunden. Eine interessante Gestalt, die ich bisher nicht erwähnt habe, war Abu Ma’shar al-Balkhi (Albumansar, ca. 787–886), ein persischer Gelehrter, der die Texte von Ptolemäus und Aristoteles studiert hatte. Er ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens wurden viele seiner Werke bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ins Lateinische übersetzt, also zu einer Zeit, als große Teile Europas noch keine Bekanntschaft mit der aristotelischen Kosmologie gemacht hatten. Durch al-Balkhi begegneten den Europäern also viele philosophische Gedanken von Aristoteles zum ersten Mal. Und zweitens hatte al-Balkhi ein schlaues kosmologisches »Mittelweg-Modell« postuliert, in dem alle Planeten mit Ausnahme der Erde um die Sonne kreisten; die Erde dagegen befand sich nach wie vor in ihrer Sonderstellung genau im Mittelpunkt des Universums, und die Sonne kreiste um sie. Al-Balkhis Arbeiten waren auch al-Biruni bekannt, der sie offenbar sehr ernst nahm – allerdings nur als philosophisches, nicht aber als wissenschaftliches Thema. Amüsant ist dabei die Feststellung, dass al-Balkhis Hauptmotiv seine Begeisterung nicht für Astronomie, sondern für Astrologie war. Dies ist der wichtigste Grund, warum seine Arbeiten für die mittelalterlichen Gelehrten in Europa von so großem Interesse waren: Auch bei ihnen war das Interesse für Astrologie das Motiv, das die Astronomie vorantrieb.
    Auch einen anderen Astronomen sollte man nicht vergessen: al-Sijzi, der wie sein bekannterer Zeitgenosse al-Biruni von al-Balkhis Arbeiten beeinflusst wurde. Auch al-Sijzi schlug offenbar ein heliozentrisches Modell vor, aber abgesehen davon, dass er (nach Angaben von al-Biruni) ein heliozentrisches Astrolabium konstruierte, sind über seine Tätigkeit kaum Einzelheiten bekannt.
    Hier gilt es allerdings, eine wichtige Einschränkung zu machen: Alle diese heliozentrischen Modelle aus der Zeit vor Kopernikus waren nicht mathematischer, sondern metaphysischer Natur. Die wahren Fortschritte erzielte man in der theoretischen Astronomie, insbesondere bei den mathematischen Modellen der Himmelsmechanik, die von Ibn al-Haytham propagiert wurden. Einige dieser Fortschritte müssen wir uns näher ansehen, denn dass Kopernikus den muslimischen Astronomen so viel verdankte – was bisher kaum bekannt ist –, kann nicht nur daran liegen, dass er nicht als Erster ein heliozentrisches Modell postulierte.
    Aber im 11. und 12. Jahrhunderts schwanden das Goldene Zeitalter des Islam und seine großartigen wissenschaftlichen Errungenschaften allmählich dahin. Man könnte die Ansicht vertreten, dies sei vor allem eine Gegenbewegung gewesen – es fand sich einfach niemand mehr, der in seiner Intelligenz mit Ibn al-Haytham, Ibn Sina und al-Biruni hätte mithalten können. Aber das ist ein wenig unfair: Ebenso gut könnte man behaupten, die griechische Wissenschaft sei mit Aristoteles im 4. Jahrhundert v.u.Z. zu Ende gewesen. Man kann durchaus einräumen, dass im islamischen Großreich ein wissenschaftlicher Niedergang stattfand, aber man darf nicht vergessen, dass es sich dabei um einen langsamen Prozess handelte, der von den Höhen des frühen 11. Jahrhunderts ausging – und von dort war es ein langer Weg nach unten. In der Astronomie dagegen sollte das Beste erst noch kommen. Obwohl der Osten des muslimischen Reiches im 13. Jahrhundert von Mongolen erobert wurde, betraten dort unerwartet zwei große Gestalten der Astronomie die Bildfläche: im 13. Jahrhundert ein persischer

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