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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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wissenschaftliche Theorie aller Zeiten: Sie besagt, dass die Gravitationskraft sich aus der Krümmung der Raumzeit rund um einen Körper ergibt – ein geometrisches Bild der Realität. Wohin Newton auch gelangt war, Einstein drang weiter und tiefer vor. So betrachtet, stellte er Newtons Leistungen eindeutig in den Schatten.
    Aber ist das fair? Muss man nicht die Leistungen jedes Menschen vor dem Hintergrund dessen beurteilen, was man zu der jeweiligen Zeit bereits wusste? Weder Einstein noch Newton lebte im luftleeren Raum, und beide standen auf den Schultern früherer großer Gestalten, so dass sie weiter blicken konnten als andere vor ihnen. Angesichts der Umstände und der bereits vorhandenen Kenntnisse können wir deshalb Newtons bemerkenswerte Leistungen und seine Größe nicht leugnen.
    Im Zusammenhang mit Kopernikus’ Leistungen habe ich bereits geschildert, wie Einsteins Aufsätze über die Spezielle Relativitätstheorie 1905 eine Revolution der Physik ankündigten. Sein Durchbruch und nicht die vorbereitende Arbeit älterer Wissenschaftler führte dazu, dass es in unserem Verständnis für die Realität zu einem Paradigmenwechsel kam. Es stimmt aber auch, dass es ohne die einige Jahre älteren Arbeiten von Jules Henri Poincaré und Lorentz keine Relativitätstheorie gegeben hätte.
    Auf ganz ähnliche Weise wird häufig auch der Konflikt zwischen Newton und seinem deutschen Zeitgenossen, dem Mathematiker Gottfried Leibniz hochgespielt, wenn es darum geht, wem das Verdienst für die Erfindung der Infinitesimalrechnung gebührt. In Wahrheit gelangten beide unabhängig voneinander zu ihren Entdeckungen. Aber keiner der beiden fing bei null an; die Grundlagen hatte vielmehr der große französische Mathematiker Fermat schon ein halbes Jahrhundert früher gelegt, nicht zu vergessen die Beiträge von Männern wie Thabit ibn Qurra, Ibn al-Haytham und al-Biruni oder auch der Griechen wie Archimedes sowie chinesischer und indischer Mathematiker (insbesondere Aryabhata im 6. Jahrhundert u.Z.). Das Entscheidende dabei: Wenn man das Verdienst für wissenschaftliche Entdeckungen zurechnet, ist es natürlich und richtig, wenn man sich auch mit Fragen der historischen Zufälligkeiten sowie mit politischen und sozialen Faktoren beschäftigt. Fast immer sind wir gegenüber jenen, die in einem Fachgebiet die neuesten Schritte getan haben, zu großzügig: Sie reißen dann zwangsläufig den Lohn für alle vorangegangenen Entdeckungen an sich, während das Verdienst derer, die die ersten und am wenigsten gewinnbringenden Schritte unternommen haben, nicht ausreichend gewürdigt wird, selbst wenn diese Schritte oftmals die wichtigsten waren.
    Manch einer vertritt die Ansicht, die moderne Wissenschaft habe mit der europäischen Renaissance begonnen, und behauptet gleichzeitig, Newton sei angesichts dessen, was zu jener Zeit bekannt war, ein größerer Wissenschaftler gewesen als Einstein. Man kann aber nicht beides haben. Wenn beispielsweise Newtons Erkenntnisse auf dem Gebiet der Optik im 17. Jahrhundert bemerkenswert waren, wie steht es dann mit denen von Ibn al-Haytham 600 Jahre zuvor? Ibn al-Haytham stellte die Optik sicher nicht auf die gleiche sichere mathematische Grundlage wie Newton, aber sein Beitrag war nicht weniger wichtig, genau wie Newtons Beitrag zum Verständnis der Gravitation nicht weniger folgenschwer war als der von Einstein.

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    Wissenschaft und Islam heute
Die islamische Welt umfasst weit mehr als eine Milliarde Menschen und verfügt über umfangreiche materielle Ressourcen. Warum ist sie von der Wissenschaft und dem Prozess, neues Wissen zu erwerben, abgeschnitten? … Der gesunde Menschenverstand und die Prinzipien von Logik und Vernunft sind die einzigen vernünftigen Mittel der Staatsführung und des Fortschritts. Als Wissenschaftler verstehen wir das sofort. Es ist unsere Aufgabe, diejenigen zu überzeugen, die es nicht begreifen.
Pervez Hoodbhoy
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