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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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›noch‹ gibt es nicht.‹« [11]
    Ob diese Geschichte nun stimmt oder nicht, es gibt keinen Zweifel daran, dass al-Ma’mun während seines ganzen weiteren Lebens den Ratschlag befolgte, den er durch diese Vision erhalten hatte: Überall bemühte er sich, sein Streben nach Wissen zu befriedigen – nach allem, was in seinen Augen »nach dem Verstand gut« war. Wie wir noch genauer erfahren werden, setzte die Begeisterung der Abassiden für antike Texte aus Griechenland, Persien und Indien sowie ihr Bestreben, sie ins Arabische zu übersetzen, schon vor al-Ma’mun ein, aber erst er machte daraus eine persönliche Leidenschaft. Und während seiner Herrschaftszeit erschienen die ersten echten Genies der arabischen Wissenschaft auf der Bildfläche.
    Um dieses plötzliche Aufblühen der Gelehrsamkeit besser zu verstehen, müssen wir ein wenig weiter in die Vergangenheit blicken und uns ansehen, wie der Islam sich 200 Jahre zuvor aus der arabischen Wüste erhob. Warum fiel das Goldene Zeitalter der Wissenschaft in die Herrschaftszeit der Abassiden von Bagdad, wo doch in jener Weltregion nichts von intellektueller Bedeutung stattgefunden hatte, seit die Bibliothek von Alexandria etliche Jahrhunderte vor der Entstehung des Islam zerstört worden war?

2
    Der Aufstieg des Islam
Die Tinte des Gelehrten ist heiliger als das Blut des Märtyrers.
Der Prophet Mohammed
    Als das Römische Reich zu Beginn des 5. Jahrhunderts immer schwächer wurde, versank Westeuropa sehr schnell im dunklen Mittelalter, wie es heute genannt wird. Daraus sollte es sich für 1000 Jahre nicht mehr erheben. Als die Stadt Rom selbst fiel, hatte sich das Machtzentrum Europas längst in östlicher Richtung nach Konstantinopel verlagert, der Hauptstadt des Oströmischen oder Byzantinischen Reiches. Sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich auf Anatolien, Griechenland, Süditalien, Sizilien, Syrien, Ägypten und die Küste Nordafrikas; seine Ostgrenze verlief ungefähr in nordsüdlicher Richtung zwischen dem heutigen Irak und Syrien. Die Amtssprache der Byzantiner war das Griechische, aber sie erreichten nicht annähernd die gleichen intellektuellen Höhen der Gelehrsamkeit wie die Griechen im antiken Athen oder Alexandria. Und obwohl es im gesamten Reich verstreute jüdische Siedlungen und auch viele Heiden gab, war das Christentum die offizielle, dominierende Religion.
    Östlich davon war in vier Jahrhunderten unter persischer Sassanidenherrschaft ein Großreich entstanden, das sich vom heutigen Irak und Iran bis nach Zentralasien erstreckte. Die Sassaniden waren 224 u.Z. unter Führung von Ardashir I. an die Macht gekommen, nachdem sie die Parther besiegt hatten. Ihre Hauptstadt Ktesiphon lag am Ufer des Tigris nur wenige Kilometer südöstlich des heutigen Bagdad. Das Einzige, was von dieser großartigen Stadt noch übrig ist, sind die Ruinen des Kaiserpalastes. Mit seinem berühmten, riesigen Bogengang ist er bis heute für die Irakis ein beliebtes Ausflugsziel.
    Um die Mitte des 6. Jahrhunderts begann ein nahezu 100 Jahre dauernder, kostspieliger Krieg zwischen Sassaniden und Byzantinern. Es ging dabei um die Länder Irak und Syrien, und die gemeinsame Grenze der beiden Staaten verschob sich ständig, je nachdem, wer in dem ständigen blutigen Tanz gerade vorrückte oder sich zurückzog. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts waren die beiden einstmals so mächtigen Imperien ausgelaugt und konnten niemand anderen als sich selbst für die demütigenden Niederlagen verantwortlich machen, die ihnen nun von den mächtigen, hervorragend organisierten muslimischen Armeen zugefügt wurden. Diese rückten nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 von Arabien aus nach Norden vor. Zuerst wurden die Byzantiner aus Syrien und Kleinasien vertrieben, dann wurden auch die Sassaniden niedergeworfen und vernichtet.

    Bevor der Islam entstand, gab es in der Region nur noch eine einzige weitere selbständige Macht. Sie war im Jemen angesiedelt, in der äußersten südwestlichen Ecke der arabischen Halbinsel, wo sich bereits vor dem Islam seit mehr als zwei Jahrtausenden die Herrschaftsbereiche mehrerer kleiner Königreiche erstreckten. Diese bezogen Macht und Reichtum aus ihrer geographischen Lage und dem nur ihnen vorbehaltenen Zugang zu den Handelswegen nach Südasien und Ostafrika.
    Ansonsten war Arabien vorwiegend von Nomadenstämmen bewohnt. Allerdings begannen diese Völker schon lange vor der Geburt Mohammeds ein Gespür für ihre kulturelle Identität zu entwickeln.

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