Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Jahrhunderts sollte man in einem Atemzug mit dem Goldenen Zeitalter Athens zur Zeit des Perikles im 5. Jahrhundert v.u.Z., mit dem Alexandria der Ptolemäer ein paar Jahrhunderte später oder dem Florenz der Medici im 15. Jahrhundert nennen. Selbst wenn die Übersetzungsbewegung das einzige wäre, was wir den Abassiden zu verdanken haben, so könnte man sie schon als wichtige historische Epoche betrachten. Sie ist aber nicht alles, was wir ihnen zu verdanken haben; sie kennzeichnete nur den Beginn des Goldenen Zeitalters. Bevor wir uns also genauer ansehen, was übersetzt wurde und von wem, müssen wir uns mit der Frage befassen, warum sie überhaupt einsetzte.
Was die Gründe für den letztendlichen Niedergang des Goldenen Zeitalters angeht, so stellt sich heraus, dass er verschiedenen Faktoren geschuldet war, die nicht alle auf der Hand liegen. Viele Historiker führen dafür mittlerweile überzeugende Argumente an und werfen damit nachträglich eine jahrelange, übermäßig vereinfachte historische Sichtweise über den Haufen.
Betrachten wir zunächst einmal die drei Gründe, von denen üblicherweise behauptet wird, sie hätten die Übersetzungsbewegung möglich gemacht und in Gang gesetzt.
Nach der ersten Begründung ging alles von der Laune eines oder zweier aufgeklärter Kalifen aus; dies könnte man aus al-Ma’muns berühmtem Traum von Aristoteles schließen, der in ihm eine lebenslange Versessenheit auf griechische Gelehrsamkeit weckte. Die Übersetzungsbewegung begann aber schon lange vor al-Ma’muns Regierungszeit, nämlich unter seinem Urgroßvater al-Mansur, dem Gründer Bagdads; als al-Ma’mun seinen Traum hatte, war sie bereits in vollem Gange. Wenn die Geschichte von dem Traum stimmt, steht sie allerdings völlig im Einklang mit der kulturellen Atmosphäre, deren untrennbarer Bestandteil er war. Richtiger sollte man also sagen: Der Traum war die Folge der Übersetzungsbewegung und des geistigen Klimas, das sie mit sich brachte, aber nicht anders herum.
Die Finanzmittel für die Bewegung stammten aus allen Teilen der Gesellschaft von Bagdad. Neben dem Kalifen gehörten dazu die Höflinge, Militärbefehlshaber, Staatsbeamte, Verwalter und auch die führenden Gelehrten, die als Übersetzer aufgestiegen und reich geworden waren. Während al-Ma’muns Herrschaft arbeiteten die berühmtesten Gelehrten – Männer wie Hunayn ibn Ishaq – nicht isoliert, sondern sie beschäftigten ganze Mannschaften von Studenten, Übersetzern und Schreibern.
Ohne die Schirmherrschaft und Unterstützung der Kalifen selbst hätte die Übersetzungsbewegung, die in Bagdad wuchs und gedieh, nicht annähernd eine solche Größenordnung erreichen können. Aber die Begeisterung und das Engagement der ersten Kalifen für die Gelehrsamkeit waren nur ein Teil dieser umfassenderen geistigen Strömung.
Ein zweiter Grund, der häufig für den Beginn der Übersetzungsbewegung genannt wird, ist die Ausbreitung des Islam selbst; da es die religiöse Pflicht aller Muslime ist, nach Wissen und Erleuchtung zu streben, führte dies zwangsläufig dazu, dass sie auf die säkularen griechischen Texte über Wissenschaft und Philosophie stießen und sie ins Arabische übersetzen ließen. Zwar förderte der Islam in seiner Frühzeit sicher tatsächlich einen allgemeinen Geist der Wissbegier und der Neugier auf die Welt, der im Christen- und Judentum in dieser Form nicht zu erkennen ist, aber es bleibt immer noch die Frage, warum die Übersetzungsbewegung gerade zu jener Zeit einsetzte und nicht schon früher während der Umayyadenherrschaft.
Außerdem überwand die Übersetzungsbewegung auch religiöse Grenzen. Unter den Übersetzern waren viele Christen, und die hätten nicht eine so wichtige Rolle gespielt, wenn hinter der Bewegung vorwiegend religiöse Motive gestanden hätten, die sich aus den Lehren des Korans oder den Ratschlägen des Propheten (der Hadith ) ergeben hätten. Auch das unentbehrliche Mäzenatentum für die Bewegung ging quer durch die Gesellschaft und schloss Nichtmuslime ein. Die Tatsache, dass die Lehren von Koran und Hadith zum Streben nach Wissen aufriefen, war sicher ein unentbehrlicher Faktor für die Entwicklung origineller Denkschulen in Theologie, Philosophie und sogar den exakte Naturwissenschaften. Diese begann allerdings erst etwas später als die Übersetzungsbewegung.
Damit sind wir bei der dritten allgemein genannten Ursache der Bewegung: Danach war die Vermittlung dieses Wissens an die Abassiden
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