Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Brahmagupta aber für die vielen mathematischen Lehrsätze, die es enthält, keine Beweise. Die arabische Übersetzung des Textes erhielt den Titel Sindhind und sollte zusammen mit dem Almagest von Ptolemäus und Euklids Elementen gewaltigen Einfluss auf die Gelehrten von Bagdad haben. Wahrscheinlich wurde das Siddhanta ursprünglich sogar – möglicherweise in der persischen Stadt Gondeshapur, die in der Sassanidenzeit ein großes Zentrum der Gelehrsamkeit war – ins Pachlevi übersetzt. Das Buch enthält nicht nur Tabellen und Sternenkarten, sondern auch Mathematik und eine grobe Trigonometrie. Es war aber von berüchtigter Undurchsichtigkeit und schwer zu verstehen.
Eine zweifelhafte, nicht belegte Geschichte verlegt die Übersetzung des Sindhind in die Zeit al-Mansurs und erklärt auch, warum es dem Werk an Klarheit mangelt. In der Erzählung wird geschildert, wie Araber in der Anfangszeit des Islam das Land von Sindh (heute eine Provinz Pakistans) eroberten und sich dort niederließen. Als die Abassiden an die Macht kamen, ergriffen die Siedler die Gelegenheit, sich für unabhängig zu erklären. Al-Mansur mochte das jedoch nicht hinnehmen und entsandte eine Armee, die den Aufstand niederschlagen sollte. Nach seinem Sieg kam eine Abordnung der Unterlegenen aus Sindh nach Bagdad. Zu der Gruppe gehörte der indische Weise Kankah, der weder arabisch noch persisch sprach. Als dieser die Wunder der indischen Astronomie und Mathematik beschrieb, musste er zunächst von einem Dolmetscher ins Persische und dann von einem zweiten ins Arabische übersetzt werden, eine Prozedur, durch die seine Ausführungen sich letztlich sehr kompliziert und seltsam anhörten. Der Gegenstand seiner Beschreibung war Brahmaguptas Siddhanta .
Spätere islamische Wissenschaftler, unter ihnen der Universalgelehrte al-Biruni im 11. Jahrhundert, taten diese Geschichte als höchst unwahrscheinlich ab und erklärten, mit größerer Wahrscheinlichkeit sei das Sindhind die Übersetzung einer persischen Fassung, die in Gondeshapur bereits in Umlauf war. Der einzig wahre Kern in der Geschichte wäre demnach, dass das Siddhanta tatsächlich auf seinem Weg zu den Arabern zwei Übersetzungen erlebte.
Erst im Verlauf des 9. Jahrhunderts erkennen wir unter islamischen Wissenschaftlern und Philosophen ein wachsendes Vertrauen in eine neue, rational-wissenschaftliche Weltanschauung, und nun wurde an der Astrologie vielfach Kritik laut: sie habe keinen Platz neben echten Wissenschaften wie Mathematik und Astronomie. Andere jedoch, unter ihnen der Mathematiker al-Khwarizimi, spielten weiterhin mit ihr herum. Manche erkannten noch Jahrhunderte später ihre Bedeutung, wenn es darum ging, weniger aufgeklärte Herrscher zur weiteren Finanzierung astronomischer Projekte zu bewegen. Ein solcher Gelehrter war der Perser al-Tusi: Er musste Mitte des 13. Jahrhunderts ein Interesse an Astrologie heucheln, um den Mongolenherrscher Hulagu Khan zu veranlassen, ihm in Maragha im Nordwesten Persiens ein neues Observatorium zu bauen.
Im 8. Jahrhundert jedoch trug die anfangs weitverbreitete Leidenschaft für Astrologie dazu bei, das Interesse an Übersetzungen der vorwiegend auf Griechisch verfassten Werke aus anderen Wissenschaftsgebieten zu wecken.
Der dritte Faktor, der zur Ausbreitung und Beschleunigung der Übersetzungsbewegung beitrug, war das Zufallselement in der neuentstehenden Technologie. Für technische Projekte [24] wie steinerne Bogenbrücken, Wasserräder und Kanäle brauchte man Kenntnisse auf Gebieten wie der Geometrie; um zum Zweck der Zeitmessung die Mondphasen vorauszusagen, benötigte man genaue astronomische Daten; und Arithmetik war unentbehrlich für die Buchhaltung. All das spielte eine wichtige Rolle; es wäre aber ebenso auch für frühere Zivilisationen erforderlich gewesen und ist deshalb keine alleinige Erklärung dafür, dass der Umfang der Übersetzungen so plötzlich zunahm. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt eine spezielle neuartige Technologie, ein Verfahren, das von alles entscheidender Bedeutung war und alles veränderte.
Die erste Papiermühle des Abassidenreiches wurde in der zentralasiatischen Stadt Samarkand an der Seidenstraße zwischen China und dem Westen errichtet. Die Stadt war bereits viele Jahrhunderte vor der islamischen Eroberung eine der größten im persischen Reich und blieb bis weit ins Mittelalter hinein ein Zentrum von Wissenschaft und Gelehrsamkeit. Im Jahr 751 errang die muslimische Armee am Ufer des
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