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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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und philosophisches Denken international und nicht an eine bestimmte Sprache oder Kultur gebunden sind.
Dimitri Gutas, Greek Thought, Arabic Culture
    Warum blühte das Goldene Zeitalter der arabischen Wissenschaft, das in der Frühzeit der Abassidenherrschaft begann, so plötzlich auf? Und warum ging es irgendwann zu Ende?
    Allgemein geht man davon aus, dass die Antwort auf die zweite Frage schwieriger zu formulieren und mit Sicherheit umstrittener ist: Zum Niedergang des islamischen Reiches trugen verschiedene Faktoren bei, und die wichtigsten davon sind, wie sich herausstellt, nicht die offensichtlichen. Aber so weit sind wir in unserer Geschichte noch nicht; vorerst werden wir uns mit der ersten Frage beschäftigen. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint die Antwort auf der Hand zu liegen. Nach einer allgemein verbreiteten Ansicht waren die spannenden Fortschritte in Mathematik, Astronomie, Physik und Technik, die Industrialisierung der Chemie, die großen Fortschritte der Medizin und das Aufblühen der Philosophie, die sich zuerst in Bagdad vollzogen und dann auf das übrige islamische Reich ausbreiteten, dem Erfolg einer auffallend umfangreichen Übersetzungsbewegung zu verdanken. Diese Entwicklung dauerte 200 Jahre, eine Zeit, in der die Weisheit früherer Zivilisationen – Griechen, Perser und Inder – zu großen Teilen ins Arabische übersetzt wurde. Nachdem sich damit im islamischen Großreich eine Kultur der Gelehrsamkeit durchgesetzt hatte, wurde diese schnell zum Selbstläufer: Sie führte zu einer großen Synthese der wissenschaftlichen Kenntnisse, die weit über die Summe dessen, was es vorher gegeben hatte, hinausging.
    Die Abassiden finanzierten und förderten zwar tatsächlich eine umfangreiche Übersetzungsbewegung, durch die praktisch das gesamte Wissen der Welt unter einem Dach zusammengeführt wurde, aber damit schiebt man das Rätsel nur eine Stufe weiter in die Vergangenheit. Warum kam die Übersetzungsbewegung überhaupt in Gang? Oder genauer gefragt: Wodurch unterschied sich die Geisteshaltung der Abassiden – der Beginn der Übersetzungsbewegung fällt tatsächlich mit dem Aufstieg dieses Herrscherhauses zusammen – von der früherer Kulturen in der gleichen Region, beispielsweise der persischen Sassaniden, der Byzantiner und auch der muslimischen Umayyaden in Damaskus? Alle diese Reiche waren militärisch stark, aber keines zeigte die ernsthafte Absicht, den früheren Glanz Alexandrias wiederzubeleben, jener Stadt, die in den ersten Jahrhunderten nach der Entstehung des Christentums ihre Blütezeit erlebt hatte.
    Als die Abassiden auf der Bildfläche erschienen, änderte sich plötzlich alles. Die Übersetzungsbewegung begann in der Mitte des 8. Jahrhunderts, und wenig später waren daran alle Schichten der Abassidenelite in Bagdad beteiligt. Es war also nicht einfach nur ein Lieblingsvorhaben des Kalifen. Zahlreiche wohlhabende Mäzene stellten zur Unterstützung und Bezahlung der Bewegung gewaltige Geldsummen zur Verfügung, so dass das Übersetzen schnell zu einem einträglichen Geschäft wurde. Die Schirmherren unterstützten die Bewegung teilweise deshalb, weil sie ihnen für Finanzwesen, Landwirtschaft, technische Projekte und Medizin praktischen Nutzen brachte, zum Teil aber auch, weil ein solches Mäzenatentum sich sehr schnell zu einer »angesagten« kulturellen Tätigkeit entwickelte, durch die sich ihre gesellschaftliche Stellung definierte. Und alle machten mit. Ein Historiker formulierte es so: »Es war keine exzentrische Schrulle und keine modische Vorliebe weniger wohlhabender Mäzene, die in eine philanthropische oder selbstherrliche Sache investieren wollten.« [19] Die Übersetzungsbewegung war also kein abgetrennter Prozess, der dem Goldenen Zeitalter der Wissenschaft vorausging. Man sollte in ihr vielmehr einen unverzichtbaren ersten Teil dieses Goldenen Zeitalters selbst sehen. Als sie einmal in Gang gekommen war, wurde sie zum Teil einer umfassenderen Suche nach Wissen. In der Mitte des 9. Jahrhunderts hatte sie sich zu einer neuen Tradition der eigenständigen wissenschaftlichen und philosophischen Gelehrsamkeit entwickelt, die wiederum die Nachfrage nach weiteren Übersetzungen sowohl quantitativ als auch qualitativ anheizte.
    Warum ist diese unglaubliche griechisch-arabische Entwicklung dennoch kein allgemein bekanntes Kapitel der Weltkulturgeschichte, das gleichberechtigt neben anderen, ähnlich folgenschweren Entwicklungen steht? Das Bagdad des 8. bis 10.

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