Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Qualitäten Wärme, Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit. Darüber hinaus postulierte Aristoteles ein fünftes Element, den Äther, der unveränderlich und unvergänglich sein sollte.
Ähnliche Theorien wurden ungefähr zur gleichen Zeit auch in China formuliert: Dort glaubte man, es gebe fünf Grundelemente (Erde, Wasser, Feuer, Metall und Holz), in Indien teilte man die Materie in Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum ein. Nun stellt sich die Frage, ob diese Kombination aus der philosophischen Betrachtung der Materie und angewandten chemischen Prozessen eine echte Chemie nach heutiger Definition darstellt. Ich würde sagen: nein; Chemie ist eine Naturwissenschaft, und als solche muss sie die strengen Anforderungen der naturwissenschaftlichen Methodik erfüllen. Angemessener wäre es, alle diese antiken Praktiken und Vorstellungen, die viele tausend Jahre weit zurückreichen, als »Protochemie« zu bezeichnen; [31] die Bestrebungen der Alchemie kann man als Teilgebiet dieser Protochemie betrachten.
Aber wer war der muslimische Gelehrte, dem wir meiner Behauptung zufolge so viel verdanken? Geber der Alchemist ist zweifellos eine der faszinierendsten und rätselhaftesten Gestalten in der Geschichte der arabischen Wissenschaft. Sein wirklicher Name lautete Jabir ibn Hayyan (ca. 721–ca. 815), und er lebte vor al-Ma’muns Regierungszeit. Wie ich noch genauer darlegen werde, kann man in ihm den Vater der Chemie sehen, aber wenn ich in dieser Hinsicht eine überzeugende Argumentation vertreten will, muss ich mich mit zwei Problemen beschäftigen. Erstens nützte Jabir selbst seiner Sache nicht gerade, indem er in seinen Arbeiten einige bemerkenswerte Laborexperimente mit mystischen und bizarren Vorstellungen sowie mit rätselhaften Schriften verband, die oftmals äußerst schwer verständlich sind. Das englische Wort »gibberish« (»Geschwätz«, »Kauderwelsch«) geht auf den Anfang des 16. Jahrhunderts zurück und bezeichnet eine unverständliche Sprache, »wie sie von Gibber (Jabir) gebraucht wurde«. Zweitens haben sich rund um seine Arbeiten zahlreiche Mythen entwickelt; diese wurden später von islamischen und christlichen Gelehrten angeheizt, die unter seinem Namen schrieben, so dass sich heute kaum noch feststellen lässt, welche Werke authentisch sind und welche nicht. Mich durch die umfangreiche Literatur zu dem Thema zu arbeiten war sowohl höchst erfreulich als auch ein wenig frustrierend, und die Diskussion um Jabirs Platz in der Geschichte ist bis heute nicht zu Ende.
Jabir war jemenitisch-arabischer Abstammung und Sohn eines Apothekers. Geboren wurde er in Khurasan im Osten Persiens, dem Ausgangspunkt der Abassidenrevolution. Mit der Gründung des neuen Reiches zog er mit seiner Familie nach Kufa und begann dort, als Arzt zu praktizieren. Sein Vater war politisch sehr eng mit der persischen Familie Barmaki verbunden gewesen, und deshalb betrachtete man Jabir als loyalen, vertrauenswürdigen Charakter. Er genoss die großzügige Förderung der Familie und insbesondere die von Ja’far, dem Großwesir al-Rashids.
Soweit man weiß, hatte Jabir eine Wohnung in Bagdad in der Nähe des Damaskus-Tores, die meiste Zeit verbrachte er aber offenbar wegen des »gesunden Klimas« in Kufa. Als al-Rashid 802 seinen Wesir hinrichten ließ, um den Einfluss der Familie Barmaki zurückzudrängen, verlor Jabir, der mittlerweile ein alter Mann war, seine herausgehobene Stellung am Hof des Kalifen und verbrachte seine restlichen Jahre größtenteils unter Hausarrest.
Für seine vielen Anhänger trug Jabir den Namen al-Sufi (der Mystiker), und tatsächlich standen sicher viele seiner Arbeiten in Verbindung mit Mystizismus und Magie. Eine Reihe moderner Historiker spielt allerdings den alchemistischen Aspekt seiner Arbeiten herunter und verweist auf den Prolog eines seiner berühmtesten Bücher, des Kitab al-Rahama al-Kabir ( Das Große Buch der Barmherzigkeit ); darin äußert sich Jabir kritisch gegenüber denen, die die »Kunst« der Transmutation praktizierten:
Ich habe gesehen, wie Leute sich in Unkenntnis und ohne Nachdenken der Suche nach der Kunst der Verwandlung von Gold und Silber gewidmet haben, und ich habe gesehen, dass es unter ihnen zwei Typen gibt, die Betrüger und die Betrogenen. Ich bin voll des Gefühls von Barmherzigkeit und Mitleid, weil sie für eine fruchtlose Suche ihr Geld verschwenden und ihren Körper strapazieren. [32]
Unklar bleibt, ob er allen Versuchen, Metalle in Gold und Silber zu
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