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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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verwandeln, kritisch gegenüberstand oder nur jenen Alchemisten, die nicht seine Kenntnisse über die geheimnisvolle Kunst besaßen und demnach Scharlatane waren. Eines aber wissen wir aus seinen Schriften: Er interessierte sich für die Transmutation viel weniger als für das noch höher gesteckte Ziel, künstliches Leben im Labor zu erzeugen – man sprach von takwin – und sich zu einem mittelalterlichen Dr. Frankenstein zu stilisieren.
    Dennoch trug Jabir viel dazu bei, die Chemie von ihrer Herkunft aus dem Aberglauben zu befreien und zu einer experimentellen Wissenschaft zu machen. Oder, wie er selbst es formulierte: »Es ist die erste Hauptsache in der Chemie, dass du praktische Arbeit tun und Experimente ausführen sollst, denn wer keine praktische Arbeit tut und keine Experimente macht, wird nie den höchsten Grad der Meisterschaft erlangen.« [33] Er stand in enger Verbindung zu Ja’far al-Sadiq (gest. 765), dem sechsten Imam des Schiitentums, der ihn in Theologie unterrichtete. Viele Schiiten erklären Jabir noch heute wegen seiner engen Verbindungen zu dem Imam zum spirituellen Führer und zu einer der großen Gestalten des Islam. Jabir selbst behauptete aus Respekt vor seinem Mentor, seine wissenschaftlichen Theorien seien nichts anderes als das Wissen, das ihm der Imam Ja’far vermittelt habe, und dieser habe es seinerseits vom Propheten über dessen Schwiegersohn Ali erhalten.
    Interessanterweise gaben sich mehrere muslimische Alchemisten, die nach Jabir kamen und seine Arbeiten studierten, offenbar große Mühe, seine Stellung und seine Arbeiten geheim zu halten. Nach einem Bericht des Historikers Ibn al-Nadim, der im 10. Jahrhundert in Bagdad lebte und keine Zweifel an Jabirs wichtiger historischer Stellung erkennen ließ, hatte eine Gruppe von Gelehrten behauptet, es habe Jabir überhaupt nicht gegeben, und selbst wenn er existiert hätte, habe er nur ein einziges Buch geschrieben (Das Große Buch der Barmherzigkeit ); die Übrigen seien von anderen, späteren Gelehrten verfasst worden. Al-Nadim hielt das für eine kaum glaublich Verschwörung und den Versuch, die Geschichte umzuschreiben:
Ich aber behaupte: Wenn ein ausgezeichneter Mann sich hinsetzt und sich abmüht, um ein Buch zu verfassen, welches 2000 Blätter umfasst, wenn er sein Genie und seine Intelligenz für die Herstellung des Buches ermüdet, wenn er Hand und Körper beim Abschreiben anstrengt und es dann einem anderen zuschreibt, ob dieser nun existiert oder nicht, ist das eine Form der Torheit … Welcher Gewinn sollte darin liegen, oder welcher Vorteil? [34]
    Dass Jabir nach westlicher Vorstellung »nur ein Alchemist« war, hatte vermutlich mehr mit den Vorurteilen der frühen europäischen Übersetzer seiner Arbeiten zu tun als mit seiner wirklichen wissenschaftlichen Befähigung. Einige seiner einflussreichsten Bücher wurden im 12. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt, also zu einer Zeit, als die Alchemie in Europa noch als angesehenes Tätigkeitsfeld galt (was bis weit in die Renaissance hinein so bleiben sollte). Selbst Isaac Newton war in seinen späteren Lebensjahren ein engagierter Alchemist und wird manchmal nicht als der erste Wissenschaftler im Zeitalter der Aufklärung, sondern als letzter Magier bezeichnet – und er lebte 900 Jahre später als Jabir.
    Eine Unterscheidung, die man zwischen den beiden Fachgebieten vornahm, lautete: Chemie ist die Wissenschaft von der Materie, Alchemie schließt auch die Philosophie der Materie ein. Aber wo verlief diese Grenze zwischen Wissenschaft und Philosophie, insbesondere da auch die Alchemie wissenschaftliche Vorstellungen von Experimenten, Beobachtung und Theorie kannte? Da Jabir sich für empirische Untersuchungen viel stärker interessierte als für Philosophie, sollte man ihn vielleicht eher als Chemiker denn als Alchemisten betrachten.
    Natürlich lässt sich nicht leugnen, dass die Arbeiten von Jabir ibn Hayyan zu einem großen Teil in Aberglauben und Magie wurzelten, was zu jener Zeit nichts Ungewöhnliches war. In seinen Schriften finden sich viele bizarre, farbige Vorstellungen: dass die Befruchtung einer Frau mit Vogelsamen zu einem Kind mit Flügeln führen werde; dass verweste Haare Schlangen hervorbringen; und dass man Statuen dazu nutzen kann, Dämonen in ihrem Inneren einzufangen. Mir geht es aber darum, mit welcher selbstherrlichen Sicherheit manche Autoren den Anspruch auf die Wahrheit ihrer Argumente erheben, wenn sie Jabirs Existenz entweder völlig leugnen

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