Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
zur gleichen Zeit im Schmutz und Dreck des Mittelalters versunken, in dem Sauberkeit keinen hohen Stellenwert hatte; in der Welt der Muslime war sie eine religiöse Forderung.
Die Erkenntnisse der Chemiker über die Eigenschaften der Basen und anderer chemischer Substanzen brachten auch die Glasindustrie weiter voran. So fand man heraus, dass man die Farbe von Glas mit neuen Chemikalien wie dem Mangan und den neuentdeckten Metalloxiden verändern kann, und mit industriellen, mehrere Stockwerke hohen Brennöfen konnte man farbiges Glas in gewaltigen Mengen erzeugen. Neue, in Keramikfliesen eingesetzte Farbstoffe schufen die Möglichkeit, Moscheen mit prachtvollen, vielfältigen Farben und Mustern auszuschmücken.
Eines haben alle mittelalterlichen arabischen Texte über Chemie gemeinsam: eine große, auf sorgfältige Experimente gestützte Aufmerksamkeit für Details. Die neuentwickelten Verfahren wurden zur Triebkraft für eine blühende, erfolgreiche Industrie, in Jabirs Arbeiten erkennt man aber auch die Anfänge der Chemie als empirische Wissenschaft, deren Motiv der Wunsch war, den Aufbau der Welt zu verstehen.
Seit der russische Chemiker Dimitrij Mendelejew 1869 auf das Periodensystem stieß, hängt dieses Schema an der Wand jedes Schul-Chemiesaals. Sein Grundgedanke besteht darin, Substanzen mit ähnlichen Eigenschaften zu Gruppen zusammenzufassen und sie gleichzeitig nach ihrem Atomgewicht anzuordnen. Auf der einen Seite stehen dann beispielsweise die Edelgase und auf der anderen die flüchtigen Metalle. Das Periodensystem ist ein Triumph der Klassifikation und schafft für die Wissenschaftler eine Möglichkeit, ihre Kenntnisse über die Welt der Materie zu organisieren – ein Ziel, das die Menschheit seit Anbeginn der Zeiten anstrebt. Die ersten Versuche einer solchen Klassifikation reichen aber viel weiter in die Vergangenheit zurück, als man allgemein annimmt: Man kann sie bis ins Mittelalter und zu Chemikern wie Jabir zurückverfolgen.
Wenn wir Vorstellungen vom Verhalten der Natur entwickeln, bemühen wir uns darum, ihre Bestandteile mit Hilfe einer Art Schema in Kategorien einzuteilen, so dass sie uns sinnvoller erscheinen; dies wiederum kann dann zu weiteren Erkenntnissen führen. Der Glaube der Griechen an die vier Grundelemente Luft, Erde, Feuer und Wasser war eine rein philosophische Idee, die kaum praktischen Nutzen brachte. Die Chemiker im islamischen Reich führten hier eine Veränderung herbei und klassifizierten die Substanzen, die sie kannten, erstmals mit Hilfe experimenteller Beobachtungen.
Im Gegensatz zu späteren Chemikern war Jabir ibn Hayyan noch nahezu ebenso stark in einer mystischen, metaphysischen Geisteshaltung verwurzelt wie seine altgriechischen Vorgänger. Auch er glaubte, Materie bestehe letztlich aus den vier von Aristoteles beschriebenen »Naturen« oder »primären« Eigenschaften heiß, kalt, feucht und trocken. Aber in seinen Arbeiten nahm der Prozess, solche abstrakten Theorien mit Experimenten zu kombinieren, erstmals Gestalt an. Die Frage ist zwar ein wenig umstritten, ihm wird aber die Entdeckung zahlreicher chemischer Verbindungen zugeschrieben, darunter die Schwefelsäure – auch Vitriol genannt – und die Salzsäure (die durch Mischen von Vitriol und Salz entsteht). Viele Historiker sind gerade gegenüber dieser Behauptung skeptisch und behaupten, die ersten bekannten schriftlichen Rezepte für diese Säuren stammten aus dem 13. Jahrhundert und insbesondere aus den Schriften, die dem Pseudo-Geber zugeschrieben werden. [46] Andererseits wissen wir aber, dass die ersten eindeutigen Anweisungen für die Herstellung von Salpetersäure in Jabirs Abhandlung Die Truhe der Weisheit stehen. [47] Außerdem sprechen stichhaltige Indizien dafür, [48] dass er als Erster Königswasser oder aqua regia herstellte, eine Mischung aus Salpeter- und Salzsäure, in der Gold sich auflöst – eine äußerst wichtige Substanz für die Alchemisten, die nach dem Stein der Weisen suchten. Die Entdeckung solcher anorganischer Säuren war also für die Entwicklung der Chemie von ungeheurer Bedeutung.
Bevor ich dieses Kapitel abschließe, sollte ich noch etwas über den Mann sagen, an den Jabir das Staffelholz der Chemie weitergab: Die zweite große Gestalt der mittelalterlichen islamischen Chemie war Abu Bakr Muhammad ibn Zakariyya al-Razi (ca. 854–ca. 925), im Westen Rhazes genannt. Er wurde vor allem durch seine medizinischen Arbeiten berühmt und gilt als der größte Arzt des
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