Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Reinigung zahlreicher metallischer Salze und Lösungen vertraut war und sie gut beschreiben konnte. Sie enthielten die ersten genauen Informationen über die Herstellung und Benutzung mineralischer Säuren – oder ätzender »Wässer«. Das leichtgläubige Mittelalter erkannte in der Regel ohne weitere Nachfragen an, dass es sich um authentische Werke Gebers aus dem 8. Jahrhundert handelte, und die ersten Chemiehistoriker übernahmen diese Interpretation … es blieb M. Berthelot vorbehalten, zweifelsfrei den pseudonymen Charakter dieser Schriften nachzuweisen. In den Bibliotheken Europas entdeckte er eine Reihe von Werken, Manuskripte auf Arabisch, die dem ursprünglichen Geber zugeschrieben werden, und ließ sie übersetzen. Keines dieser Werke hatte in Stil oder Inhalt auch nur die geringste Ähnlichkeit mit dem Werk des Pseudo-Geber. Sie ähneln in Wirklichkeit viel stärker den altgriechischen alchemistischen Schriften, auf denen sie eindeutig aufbauen. Dass diese Schriften aus dem 13. oder 14. Jahrhundert bis in die jüngste Zeit allgemein als Werke arabischen Ursprungs aus dem 8. Jahrhundert anerkannt wurden, lag daran, dass arabischen Chemikern das Verdienst für fortgeschrittene Kenntnisse in der Chemie eingeräumt wurde, für die es in der derzeit bekannten arabischen Literatur keinen Beleg gibt. Dieses fortgeschrittene Wissen ist vielmehr einigen europäischen Chemikern – Mohammedanern vermutlich ebenso wie Christen – aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zuzuschreiben, und der Pseudo-Geber selbst war vermutlich kein Araber, sondern ein auf Lateinisch schreibender Spanier oder in jedem Fall ein Südeuropäer aus einem anderen Land, der mit der Entwicklung der spanisch-arabischen Chemie jener Zeit vertraut war. [40]
Diese Ansicht wirft ein Problem auf: Der in dem Zitat genannte Historiker Berthelot war kein Arabist, sondern Chemiker. Er sprach überhaupt kein Arabisch, sondern musste sich auf einen Übersetzer verlassen, der aber kein Chemiker war. Unglücklicherweise führte diese Arbeitsteilung zu einer ganzen Reihe von Fehlinterpretationen und vielen falschen Übersetzungen von Fachausdrücken, was die ganze Studie in Misskredit brachte. [41]
Trotz solcher Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit mancher Analysen des Corpus Gabirianum bleibt die schwierige Frage nach seiner schieren Größe und den rätselhaften Umständen, unter denen einige seiner Texte entstanden sein sollen. Dass viele Historiker dem Corpus eine spätere Entstehungszeit und mehrere Autoren zuschreiben, hat vor allem den Grund, dass ein einzelner Mann so viele Abhandlungen schlicht und einfach nicht hätte schreiben können. In Wirklichkeit ist die riesige Zahl von 3000 Einzelwerken im Corpus übertrieben; es sind tatsächlich weniger als 1000. [42] Bei vielen »Büchern« handelt es sich in Wirklichkeit um Manuskripte von nur einer Seite, und die Nummerierung des Katalogs hat Lücken. Natürlich sind selbst vorsichtig geschätzte 500 Bücher für einen einzelnen Autor ein gewaltiges Œuvre.
In gewisser Hinsicht ist die Authentizität des vollständigen Corpus eigentlich kein Problem. Selbst wenn spätere Autoren ihre Arbeiten Jabir zuschrieben, mindert dies seinen eigenen Beitrag nicht. Nach einer heute allgemein anerkannten Ansicht kann man mit Sicherheit annehmen, dass ein Kern von Schriften authentisch ist und auf die Zeit Jabirs im 8. Jahrhundert zurückgeht; große Teile des Corpus wuchsen aber vermutlich um diesen Kern herum und kamen erst später hinzu. Offensichtlich erschienen zahlreiche Texte ohne arabisches Vorbild ursprünglich auf Lateinisch, wurden aber fälschlich Jabir zugeschrieben, weil ihre Autoren ihnen damit mehr Glaubwürdigkeit verleihen wollten. [43]
Interessanter ist eine ganz andere Frage: In Teilen des Corpus wird ständig auf griechische Texte Bezug genommen. Man hat die Ansicht vertreten, dies sei der Beweis, dass es sich nicht um Arbeiten Jabirs handeln könne. Die Übersetzungen aus dem Griechischen ins Arabische und damit auch die Wertschätzung für die Arbeiten von Aristoteles und anderen fanden eigentlich erst nach Jabirs Tod statt. Wie wir aber bereits erfahren haben, wurden solche Übersetzungen mehrmals angefertigt, entweder zuerst ins Syrische und dann ins Arabische oder aber unmittelbar ins Arabische; in jeder Version wurden dabei mit einem besseren Verständnis des Inhalts Fehler der früheren Übersetzungen korrigiert. Ein schönes Beispiel sind die Kategorien des
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