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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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machte, können die fast 3000 Werke, die Jabir ibn Hayyan zugeschrieben werden, vermutlich nicht von einem einzelnen Mann verfasst worden sein; dafür enthalten sie in Inhalt und Stil zu viele Ungereimtheiten. Die Frage war während des vergangenen Jahrhunderts der Gegenstand widersprüchlicher Meinungen und Spekulationen von Historikern – in Wissenschaftlerkreisen ist vom »Jabir-Problem« die Rede. Es geht dabei weniger um die Undurchsichtigkeit der Schriften als vielmehr um die Frage, ob Jabir tatsächlich der Autor dieses ungeheuer umfangreichen Werkes war. So wird beispielsweise die Ansicht vertreten, der Corpus Gabirianum lasse durch zahlreiche Anhaltspunkte erkennen, dass er mit der ismailitischen Bewegung der viel späteren Fatimidenzeit in Verbindung steht; demnach entstanden die meisten Werke, die Jabir und dem 8. Jahrhundert zugeschrieben werden, in Wirklichkeit erst zwischen dem 9. und dem 11. Jahrhundert. Andere Teile des Corpus sind nur in einer lateinischen Fassung erhalten geblieben, Hinweise auf ältere arabische Versionen wurden nicht entdeckt; daraus kann man möglicherweise schließen, dass es solche älteren Versionen nie gab und dass diese Teile erst im 12. oder 13. Jahrhundert von europäischen Gelehrten auf Lateinisch verfasst wurden. Meinungsverschiedenheiten gab es schon in frühislamischer Zeit. Ein Philosoph namens al-Mantiqi schrieb schon 970 u.Z., also noch nicht einmal zwei Jahrhunderte nach Jabirs Tod, dessen Arbeiten seien nicht verbürgt und der wahre Autor sei einer seiner persönlichen Freunde, ein Mann namens al-Hassan al-Mausili (eine Meinung, die nur die wenigsten ernst nehmen).
    Der schiere Umfang und die Bandbreite der Werke des Corpus, die bis heute erhalten sind, führte bei den Gelehrten aber zu der Überzeugung, dass es zumindest einen weiteren Autor gegeben haben muss, der viel später lebte. Dieser wird als Pseudo-Geber bezeichnet. Das berühmteste Werk, das diesem rätselhaften Gelehrten zugeschrieben wird, ist die Summa perfectionis magisterii , eine alchemistische Abhandlung, die vermutlich im 13. Jahrhundert entstand. Den Pseudo-Geber konnte man über viele Jahre nicht mit einer historischen Person in Verbindung bringen, allgemein war man sich aber einig, dass es sich vermutlich um einen Italiener handelte. Erst vor relativ kurzer Zeit [39] wurde die Vermutung geäußert, er könne ein Franziskanermönch namens Paulus von Taranto gewesen sein, der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Kloster der Franziskaner-Minoriten in Assisi Vorlesungen hielt. Selbst wenn das stimmt, stützte sich Paulus von Taranto mit seiner Summa wahrscheinlich sowohl auf die lateinische Fassung eines Werkes, das ursprünglich von al-Razi auf Arabisch verfasst worden war, als auch auf die lateinische Übersetzung Liber de Septuaginta von Jabirs Buch der Siebzig ( Kitab al-Sab’in ). Ein großer Teil des Corpus Gabirianum stammt also möglicherweise tatsächlich nicht von Jabir selbst, er hatte aber mit Sicherheit großen Einfluss auf diese späteren Gelehrten.
    In den 1920er Jahren tobte eine heftige Auseinandersetzung um die Glaubwürdigkeit Jabirs und seine Leistungen in der Chemie. Ich selbst bin zwar zurückhaltend, ich darf aber nicht zulassen, dass diese Diskussion zu weit im intellektuellen Treibsand der wissenschaftlichen Debatten versinkt; ich muss zugeben, dass auch ich es faszinierend fand, wie Wissenschaftshistoriker ihre Argumente für und gegen Jabirs Platz in der Geschichte vertreten haben. Der folgende Auszug stammt aus einem typischen, 1922 erschienenen Fachartikel; darin wird die Meinung geäußert, Jabir ibn Hayyans chemische Kenntnisse seien so hoch entwickelt gewesen, dass man sie ihm vermutlich nicht zuschreiben könne:
Es war eine bemerkenswerte Verdrehung der Geschichte, dass um 1300n.Chr. gewisse Schriften auftauchten, die für die Geschichte der Chemie wichtig waren und angeblich Arbeiten des Arabers Geber darstellten; dies war der latinisierte Name von Djaber [Jabir ibn Hayyan]. Der echte Djaber lebte vermutlich ungefähr im 8. Jahrhundert, und über seine Person ist wenig bekannt. Er genoss aber bei späteren arabischen Alchemisten ein hohes Ansehen in ihrer Kunst … Die Werke, die unter dem Namen Geber erschienen, waren sehr bemerkenswert und machten im 14. Jahrhundert großen Eindruck. Es handelte sich eindeutig um die Arbeiten eines erfahrenen, kompetenten Chemikers, der mit den Methoden der Destillation und Sublimation sowie mit der Präparation und

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