Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Aristoteles, ein ungeheuer wichtiges philosophisches Werk, das nach heutiger Kenntnis erstmals Mitte des 9. Jahrhunderts von Ishaq ibn Hunayn, dem Sohn des berühmteren Hunayn ibn Ishaq, ins Arabische übersetzt wurde. Eine Beschreibung dieses Textes im Corpus Gabirianum unterscheidet sich aber stark von Ishaqs Version. Wegen des altertümlichen Stils von Sprache, Terminologie und Aufbau besteht Grund zu der Annahme, dass das Werk ursprünglich schon vor Ishaqs Zeit übersetzt wurde, so dass Jabir es möglicherweise kennen konnte. [44] Wenn das stimmt, ist es nicht nur ein Hinweis auf den beeindruckenden Umfang von Jabirs Wissen, sondern es lässt auch darauf schließen, dass die ersten Übersetzungen vieler weiterer griechischer Texte ebenfalls viel früher entstanden, als man gemeinhin annimmt.
Wie steht es nun mit dem Inhalt des Corpus oder zumindest jener Teile, von denen wir sicher sein können, dass sie von Jabir selbst verfasst wurden? Er entwickelte und vervollkommnete bekanntermaßen zahlreiche chemische Verfahren, darunter Kristallisation, Destillation, Verdampfung, Kalzination (die Wärmebehandlung von Erzen und Mineralien zur Abtrennung bestimmter Einzelsubstanzen) und Sublimation (ein Prozess, bei dem ein Feststoff beim Erhitzen unmittelbar in Dampf übergeht und sich dann als Sediment sammelt); alle diese Methoden gehören heute in jedem Chemielabor zum Standardrepertoire. Ebenso verdanken wir ihm die Einführung des Wortes »Alkali«; es stammt vom arabischen al-qali ab und bedeutet »aus der Asche« (weil das Kalium, eines der wichtigsten Alkalimetalle, aus der Brandasche gewonnen wurde, die hauptsächlich aus Kaliumkarbonat besteht). Erwähnenswert ist auch, dass er Salmiak benutzte (beschrieben in seinem Werk Sanduk al-Hikma , Die Truhe der Weisheit ), denn darin erkennen wir die Anfänge der angewandten organischen Chemie.
Jabir nutzte seine chemischen Kenntnisse für eine Reihe praktischer Anwendungen, so für die Vorbeugung gegen Rostbildung, den Einsatz von Mangandioxid bei der Glasherstellung und das Gerben von Leder. Viele seiner Beschreibungen handeln von industriellen Prozessen wie der Verwendung von Destillationsöfen, der Herstellung farbigen Glases, dem Schmelzen und Reinigen von Metallen, der Glasierung von Keramikfliesen, der Stahlherstellung sowie der Herstellung von Farben und Lacken. Außerdem entwickelte er den Destillierkolben, ein Gefäß mit spitz zulaufendem Deckel, das in Destillationsapparaturen verwendet wird. Sein moderner Nachfahre ist der »Pot Still«, der in der Whiskyherstellung Verwendung findet.
Zur gleichen Zeit entwickelten sich auch andere neue industrielle Verfahren, darunter solche, die mit der Buchherstellung zu tun hatten (Papier, Tinte und Klebstoff), aber auch Produktionsverfahren für Parfüms und Arzneien. Alle diese Entwicklungen sind Anzeichen für eine florierende Wirtschaft, die Innovationen und neue Technologien verlangte. Teilweise war die gleiche Industrialisierung schon in früheren Kulturkreisen vom Römischen Reich bis nach China zu beobachten, aber es ist kein Zufall, dass viele Begriffe, die bis heute in der Chemie verwendet werden, aus dem Arabischen stammen: Alkohol, Alkali, Amalgam, Benzol, Borax, Campher, Elixier und Realgar. Manche dieser Wörter lassen sich natürlich noch weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen, bis hin zu ihren Ursprüngen im Griechischen, Persischen oder Indischen.
Ein Musterbeispiel für die angewandte Chemie war die Seifenherstellung. Feste Seifenstücke waren in Nordeuropa bis zum 13. Jahrhundert kaum bekannt; erst dann wurden sie erstmals aus dem islamischen Spanien und Nordafrika importiert. Zur gleichen Zeit war die Seifenherstellung in der islamischen Welt bereits industrialisiert: In der marokkanischen Stadt Fes gab es rund 20 Seifensieder, und Städte wie Nablus, Damaskus und Aleppo wurden mit der Qualität ihrer Seifen berühmt.
Mir geht es hier natürlich nur um feste Seifenstücke; damit will ich nicht sagen, dass die Araber die Seife als solche erfunden hätten. Die Verwendung von Detergentien lässt sich bis zu den alten Babyloniern zurückverfolgen, die zu diesem Zweck gekochtes Tierfett, Holzasche und sogar den ammoniakhaltigen abgestandenen Urin benutzten. Auch Griechen und Römer verwendeten eine Form der Seife, und Galen zeichnete sogar ein Rezept zum Kochen von tierischen Fetten, Ölen und gebrannter Soda auf. [45] Neu war jedoch die industrielle Herstellung von Seifenstücken. Europa war
Weitere Kostenlose Bücher