Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
dem Landkartenprojekt eine zentrale Rolle und gilt häufig als der erste Geograph der islamischen Welt. Schon aufgrund des Aufwandes, der in dem Text steckt, ist es aber wahrscheinlicher, dass das Surat al-Ard wie die Bestätigten Tabellen ein Gemeinschaftsunternehmen war. Es orientierte sich am Vorbild der Geographia und wurde 833, in al-Ma’muns Todesjahr, fertiggestellt. Das Werk enthielt Tabellen mit den Längen- und Breitengraden von mehr als 500 Städten und ordnete Orte unter fünf allgemeinen Überschriften ein: Städte, Flüsse, Berge, Meere und Inseln; diese waren jeweils in Tabellen von Süden nach Norden zusammen mit ihren genauen Koordinaten in Grad und Bogenminuten aufgeführt.
Die ältesten heute noch erhaltenen Weltkarten aus dem islamischen Großreich sind Kopien früherer Werke, die auf den Anfang des 11. Jahrhunderts zurückgehen und viele Bezüge zu den Tabellen von al-Khwarizmi enthalten. Vor einigen Jahren löste eine offenbar bemerkenswerte Entdeckung große Aufregung aus. Der angesehene, in Frankfurt tätige Historiker Fuat Sezgin behauptete, er habe im Topkapi-Museum in Istanbul eine aus dem 14. Jahrhundert stammende Abbildung von al-Ma’muns ursprünglicher Karte entdeckt. In der Frage, ob sie authentisch ist, herrscht aber bis heute keine Einigkeit.
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Karte aus dem Buch der Straßen und Provinzen von Abu Ishaq Ibrahim al-Istakhri. Man erkennt den Irak, den Tigris, Kufa, Bagdad und den Persischen Golf.
Aufbauend auf den Arbeiten von al-Khwarizmi und seinem Umfeld entwickelte sich die muslimische Kartographie schnell weiter. Das Fachgebiet teilte sich in zwei Schulen: Die Karten der einen orientierten sich an dem Kartenzeichner al-Balkhi (850–934) aus Bagdad und ähnelten weniger Landkarten, wie wir sie heute kennen, als vielmehr stilisierten Diagrammen (ähnlich dem Linienplan der Londoner U-Bahn); die anderen hatten den Stil des Kartographen al-Idrisi, der später – im 12. Jahrhundert – in Andalusien tätig war. Weitere muslimische Gelehrte, die geographische Werke verfassten, waren unter anderem Ibn Sina (Avicenna) und al-Biruni im 11. Jahrhundert sowie der Historiker Ibn Khaldun und der berühmte Reisende Ibn Batutta 300 Jahre später. Aber den Beitrag von al-Ma’muns Kartographen zur Entwicklung der mathematischen Geographie kann man nicht hoch genug einschätzen.
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Noch ein letztes Gebiet der Gelehrsamkeit wurde für al-Ma’mun zu einer Art Besessenheit, und dies ist für uns heute vielleicht eine Überraschung. Als ich zum ersten Mal davon hörte, war es für mich sogar so etwas wie eine Offenbarung: die Ägyptologie.
Die Pyramiden von Gizeh vor den Toren Kairos stammen aus der Mitte des dritten Jahrtausends v.u.Z. und waren damit zu al-Ma’muns Zeit bereits über 3000 Jahre alt. Das alte Ägypten der Pharaonen und seine Zivilisation lagen also schon zu der Zeit, als der Islam entstand, im Nebel der fernen Vergangenheit. Der Historiker al-Mas’udi schrieb im 10. Jahrhundert über die Pyramiden:
Die Tempel Ägyptens sind sehr seltsame Bauwerke … und dann sind da die Pyramiden, die sehr hoch sind und auf bemerkenswerte Weise errichtet wurden. Ihre Seiten sind von allen möglichen Inschriften bedeckt, welche in der Schrift der alten Nationen und Königreiche geschrieben sind, die nicht mehr existieren. Niemand kann diese Schrift lesen, und niemand weiß, was damit beabsichtigt war. Diese Inschriften haben mit den Wissenschaften, mit den Eigenschaften der Dinge, mit Magie und den Geheimnissen der Natur zu tun.
Später berichtet er:
Ich habe die gelehrtesten Kopten Oberägyptens und anderer Provinzen nach der Bedeutung des Wortes »Pharao« befragt, aber keiner konnte mir etwas darüber sagen, denn diesen Namen gibt es in ihrer Sprache nicht. Vielleicht war er ursprünglich der allgemeine Titel aller ihrer Könige.
Man findet seltsame Erzählungen über die Schätze und Denkmäler Ägyptens und über den Reichtum, den sowohl seine Könige als auch andere Nationen, die in diesem Land herrschten, in der Erde vergraben haben und nach denen noch heute gesucht wird. [78]
Al-Ma’mun reiste 816 nach Ägypten, um einen Aufstand niederzuschlagen, und während seines Aufenthalts faszinierten ihn die Pyramiden. Angeblich suchte er vergeblich nach irgendjemandem, der ihm ihren Sinn hätte erklären können. Dass Berichte über das alte Ägypten die Araber im Mittelalter so fesselten, liegt daran, dass sie im Koran an mehreren Stellen erwähnt werden, insbesondere in der
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