Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
über das Rechnen durch Wiederherstellung und Ausgleich , aber aus Gründen, die ich in Kürze deutlich machen werde, ist es zulässig, den Zungenbrecher mit al-Jebr abzukürzen. Sein Autor ist Ibn Musa al-Khwarizmi, der treue Begleiter von al-Ma’muns Haus der Weisheit. Er behandelt darin die Algebra zum ersten Mal als eigenständiges Teilgebiet der Mathematik und nicht nur als Zweig von Arithmetik oder Geometrie. Sogar das Wort »Algebra« geht auf das al-Jebr im Titel zurück.
Al-Khwarizmi kam zu Beginn des 9. Jahrhunderts aus Zentralasien, aus einer Region unmittelbar südlich des Aralsees, nach Bagdad. Ursprünglich war er Zoroastrier, aber vermutlich konvertierte er zum Islam. Auf der ersten Seite des al-Jebr beginnt er seinen Text mit der Zeile Bism-Illah al-Rahman al-Rahim (»im Namen Gottes, des Gnädigsten und Mitfühlenden«), die bis heute alle von Muslimen verfassten Bücher einleitet. Natürlich wäre es aber auch denkbar, dass al-Khwarizmi einfach die Tradition befolgte und den Kalifen, unter dessen Schirmherrschaft er stand, nicht beleidigen wollte. Wie wir bereits erfahren haben, war al-Khwarizmi eine der zentralen Gestalten in al-Ma’muns Gelehrtenkreis. Mit seiner berühmten Abhandlung Bild der Erde , in der er die Koordinaten mehrerer hundert Städte in der bekannten Welt aufführte und Anweisungen zum Zeichnen einer neuen Weltkarte gab, sicherte er sich eine dauerhafte Stellung als erster islamischer Geograph. Und da er die astronomischen Arbeiten am Shammasiyya-Observatorium in Bagdad beaufsichtigte und dann eine höchst einflussreiche zij verfasste, sicherte er sich auch den Ruf als großer Astronom. Vor allem ist er aber als Mathematiker bekannt, und mit seiner Abhandlung über die hinduistischen Zahlen machte er das Dezimalsystem in der muslimischen Welt bekannt. Dennoch verblassen alle diese Leistungen im Vergleich zu seinem berühmtesten Werk: Dies ist zweifellos sein Buch über die Algebra. Interessanterweise wagte er sich im Gegensatz zu seinem berühmten Zeitgenossen al-Kindi nie auf das Gebiet der Philosophie; er war auch nicht an Übersetzungen beteiligt und hatte keine griechischen Sprachkenntnisse.
In welchem Jahr al-Khwarizmi sein al-Jebr vollendete, ist nicht bekannt, aber auf die erste Seite schrieb er eine Widmung für seinen Mäzen al-Ma’mun. Aus diesen ersten Absätzen erfahren wir etwas über sein Motiv, das Buch zu schreiben: »Diese Vorliebe für die Wissenschaft, durch welche Gott den Imam al-Ma’mun, den Gebieter der Gläubigen, ausgezeichnet hat … hat mich ermutigt, ein kurzes Werk über das Rechnen durch (die Regeln von) Vervollständigung und Reduktion zu verfassen.« [105] Hier liegt zu einem beträchtlichen Teil der wahre Wert seines Werkes: Al-Khwarizmi fasste obskure mathematische Regeln, die nur wenige kannten, zusammen und machte daraus ein Handbuch zur Lösung mathematischer Probleme, die sich in den verschiedensten Alltagssituationen stellten.
Bevor wir uns mit den Details seines Buches beschäftigen, sollten wir vielleicht klarstellen, was mit »Algebra« eigentlich gemeint ist. Wir alle lernen in der Schule, wie man Aufgaben löst, in denen »Unbekannte« vorkommen, die meist als x oder y bezeichnet werden. Warum die Algebra für die Lösung vieler verschiedener Aufgaben in Mathematik, Wissenschaft, Technik, Finanzwesen und anderen Gebieten so nützlich ist, lässt sich sehr leicht zeigen. Als kurze Wiederholung wollen wir mit einem nahe liegenden Beispiel beginnen. Wenn wir die Gleichung x –4=2 schreiben, heißt das: Es gibt eine hier mit dem Buchstaben x bezeichnete Zahl, deren Wert so groß ist, dass wir 2 als Ergebnis erhalten, wenn wir 4 von ihr subtrahieren. Dass x den Wert 6 haben muss, liegt auf der Hand; ich hätte mir die Mühe sparen können, eine mathematische Gleichung mit dem Symbol x zu schreiben, und hätte stattdessen einfach mit Worten formulieren können: Welches ist die Zahl, die 2 ergibt, wenn wir 4 von ihr subtrahieren?
Wie wäre es aber mit einer anderen Aufgabe, in der Kenntnisse der Algebra und ihrer Regeln nützlich sein könnten (auch wenn die Aufgabe selbst nicht mehr ist als eine einfache Knobelei)? Hier ist sie: Du und ich haben jeweils einen Korb voller Eier, aber wir wissen nicht, wie viele Eier in jedem der beiden Körbe sind. Man hat uns gesagt, ich müsse dir nur eines meiner Eier geben, dann haben wir beide gleich viele. Wenn du mir dagegen eines deiner Eier gibst, habe ich doppelt so viele wie du. Wie viele
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