Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Eier hatten wir ursprünglich? Denken Sie einmal über die Frage nach, bevor Sie weiterlesen.
Die meisten Menschen, die mit dieser Aufgabe konfrontiert werden, greifen auf die Methode des Ausprobierens zurück: Sie setzen verschiedene Zahlenpaare ein und überprüfen, ob sie beide Kriterien erfüllen. Zunächst einmal kann man sehr schnell davon ausgehen, dass ich zwei Eier mehr haben muss als du, denn wenn ich dir dann eines gebe, haben wir am Ende gleich viele (ich gebe eines ab, du bekommst eines). Damit sind wir aber noch nicht bei einer eindeutigen Antwort: Ich könnte 12 Eier haben und du 10, oder ich habe 150 und du 148. Jetzt müssen wir die zweite Information berücksichtigen, aber ohne Algebra probiert man dabei nur Zahlenpaare aus, bis man auf die richtige Kombination trifft. Die zutreffende Antwort lautet: Ich habe sieben Eier, du hast fünf – wenn ich dir dann eines gebe, haben wir am Ende beide sechs, wenn du aber mir eines gibst, hast du vier und ich acht – doppelt so viele wie du.
Gehen wir nun das Problem einmal algebraisch an und sagen wir: Die größere Zahl von Eiern sei x , die kleinere sei y . Nun können wir zwei Gleichungen aufstellen: x –1= y +1 und x +1=2(y -1). Jetzt müssen wir die Regeln für algebraische Manipulationen kennen, das heißt die Regeln für die Umstellung und Umorganisation der Buchstaben und Zahlen in den Gleichungen; dann gelangen wir zu der gleichen Antwort: x =7, y =5. Diese Regeln beschreibt al-Khwarizmi in seinem al-Jebr , und deshalb wird er allgemein als »Vater der Algebra« gepriesen.
Wie sich aber herausstellt, ist die Angelegenheit in Wirklichkeit komplizierter. Man sollte vorsichtig sein und al-Khwarizmi nicht das Verdienst für die Erfindung eines Fachgebietes zuschreiben, nur weil der Name, den wir heute dafür verwenden, aus dem Titel seines Buches stammt. Schließlich mache ich auch Jabir ibn Hayyan nicht aufgrund der Wortherkunft zum »Vater der Chemie«; oder genauer gesagt: Ich rechne ihm nicht das Verdienst zu, das Alkali entdeckt zu haben, nur weil dieses Wort arabischen Ursprungs ist; die Alkalis oder Basen waren unter verschiedenen Namen schon vor Jabir seit Jahrhunderten bekannt. Das gleiche Prinzip sollten wir auch auf al-Khwarizmi anwenden: Die Bezeichnung als Begründer einer Disziplin muss durch eine sorgfältigere Untersuchung seines mathematischen Erbes gestützt werden.
Sehr deutlich wurde mir diese Frage vor einigen Jahren, als ich bei der Londoner Royal Society einen öffentlichen Vortrag über das Goldene Zeitalter des Islam und seinen Beitrag zur Wissenschaft hielt. Forsch und ohne meine Behauptung ernsthaft zu begründen, schrieb ich al-Khwarizmi die Erfindung der Algebra zu. Am Ende des Vortrages kann jemand aus dem Publikum zu mir und erklärte ungehalten, die Algebra gehe in Wirklichkeit auf eine Zeit lange vor al-Khwarizmi zurück, und wenn überhaupt jemand den Titel »Vater der Algebra« verdiene, dann sei es der griechische Mathematiker Diophantus. Ich war zu jener Zeit kein Fachmann für das Thema und konnte keine stichhaltigen Gegenargumente anführen. War ich mit meinem Lob für al-Khwarizmi zu vorschnell gewesen? Und was noch schlimmer war: Hatte ich mich aus intellektueller Faulheit einer Voreingenommenheit zugunsten der islamischen Gelehrten schuldig gemacht, indem ich eine der großen Leistungen der alten Griechen herunterspielte – ein Problem, das mir leider regelmäßig begegnete und das ich in jedem Fall vermeiden wollte? Nun beschäftigte ich mich genauer mit dem Thema, und im Folgenden möchte ich beschreiben, was ich dabei herausfand. Wie sich herausstellte, handelte es sich um ein faszinierendes Thema, das nach meinem Eindruck außerhalb von Wissenschaftlerkreisen noch nicht umfassend dargestellt wurde.
Man muss einfach die gemeinsamen Anstrengungen der arabischen Mathematiker bewundern, die nach al-Khwarizmi kamen und seinen Ruf förderten und festigten. Diese PR-Aufgabe wurde dadurch erleichtert, dass sein Buch in Europa zu jener Zeit großen Einfluss hatte. Es wurde im 12. Jahrhundert nicht nur einmal, sondern zweimal ins Lateinische übersetzt, und zwar von dem Engländer Robert von Chester sowie von dem Italiener Gerard von Cremona. Auch Fibonacci, der größte europäische Mathematiker des Mittelalters, kannte sein Werk: Er zitiert al-Khwarizmi in seinem 1202 erschienenen Liber Abaci . Darin bezieht er sich auf das Modum Algebre et Almuchabale und seinen Autor Maumeht , die latinisierte Form von
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