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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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die Gefahr einer Invasion durch das Ghaznawidenreich im Süden um 1012 immer größer wurde, entschloss sich Ibn Sina, Gurganj zu verlassen. Er hatte vor, am persischen Königshof nach größerem Ruhm und Reichtum zu streben, der Gefangennahme durch die Ghaznawiden zu entgehen und nach einem sicheren Zufluchtsort zu suchen, an dem die unentbehrlichen Mäzene ihm die Möglichkeit verschaffen würden, seine Studien fortzusetzen. Eine Zeitlang blieb er in Gorgan, wo er mit der Arbeit an seinem großen Kanon der Medizin begann und seinen lebenslangen Schüler und Biographen al-Juzjani kennenlernte; dann lebte er in Rayy, wo er am Königshof als Mediziner tätig war und viele seiner philosophischen Gedanken weiterentwickelte. Immer noch nervös wegen der nahenden Ghaznawidengefahr, zog er weiter: zuerst nach Qazwin, und schließlich ließ er sich 1015 in Hamadan nieder. Dort freundete er sich mit dem Buyiden Amir Shams al-Daula an, den er von Koliken heilte, und wenig später wurde er zu dessen neuem Wesir ernannt. Abgesehen von einem holprigen Berufsstart, in dessen Verlauf er kurzzeitig im Gefängnis saß, weil man aufständische, mit seiner Ernennung unzufriedene Soldaten beruhigen wollte, genoss Ibn Sina das Leben in Hamadan in vollen Zügen: Tagsüber erfüllte er seine Verwaltungsaufgaben, abends unterrichtete und schrieb er, und nachts wurde gefeiert.
    Ibn Sina wurde in philosophischen Fragen immer freimütiger; seine Schriften verraten kompromisslos rationalistische Ansichten und sein Bekenntnis zur Überlegenheit der Logik. Obwohl er ein sehr spiritueller Mensch war – ein großer Teil seiner Philosophie war theologisch angehaucht –, wurde er von den strenggläubigen Konservativen als Ketzer gebrandmarkt. Auch sein Lebensstil, den manche für hedonistisch hielten, war nicht gerade eine Hilfe. Er lehnte es aber ab, seine rationalistischen Ansichten zu mäßigen, und erklärte auch, ein üppiges, liberales, aber kurzes Leben sei ihm lieber als ein engstirniges, langes.
    Zur gleichen Zeit hatte sich al-Biruni entschlossen, in Gurganj abzuwarten. Im Jahr 1017 jedoch fielen die Ghaznawiden schließlich in Khwarizm ein. Ihr Herrscher, der Sultan Mahmud, nahm al-Biruni und mehrere andere Gelehrte mit in seine Hauptstadt Ghazna im heutigen Afghanistan. Ob al-Biruni gefangen genommen wurde oder freiwillig mitging, ist nicht geklärt; jedenfalls hörte seine wissenschaftliche Produktion nach dem Umzug nicht auf, und wenig später begann er mit der Arbeit an seinem berühmtesten Werk Die Bestimmung der Koordinaten von Städten ( Kitab Tahdid Nihayat al-Amakin li-Tashih Masafat al-Masakin ); dieser Text, den er im Sommer 1025 vollendete, ist im Wesentlichen ein Lehrbuch der sphärischen Geometrie.
    Bis 1031 hatte er sein Hauptwerk fertiggestellt. Es trug den Titel Der Mas’udi-Kanon und war dem Ghaznawidensultan al-Mas’ud gewidmet. Danach und nach jahrelangen Reisen durch Indien vollendete er sein letztes großes Werk Die Geschichte Indiens ( Ta’rikh al-Hind ), das noch heute für die Indologen eine wichtige Quelle darstellt. [166] Unter anderem ist seine Analyse der Beziehung zwischen Islam und Hinduismus eine großartige erste Studie zur vergleichenden Religionswissenschaft.
    Ibn Sina musste 1023 erneut seine Zelte abbrechen, dieses Mal aus politischen Gründen. Eilig verließ er Hamadan und begab sich nach Isfahan, wo er die letzten 15 Jahre seines Lebens unter der Schirmherrschaft des Sultans Ala’ al-Daula arbeitete. Isfahan war zu jener Zeit ein Brennpunkt der persischen Gelehrsamkeit. Ein berühmter Ausspruch über diese noch heute wunderschöne Stadt, der ihre Stellung und Bedeutung vor 1000 Jahren deutlich macht, lautete: »Isfahan nesf-e jahan« (»Isfahan ist die halbe Welt«).

    Wie steht es mit dem wissenschaftlichen Vermächtnis dieser beiden großen Persönlichkeiten? Im Fall der anderen Wissenschaftler, die wir bisher kennengelernt haben, konnte man ganz klar sagen, worin ihre wichtigsten Beiträge bestanden, obwohl sie alle Universalgelehrte waren: Jabir war der Chemiker, al-Khwarizmi der Algebraiker, al-Kindi der Philosoph, al-Razi der Arzt, Ibn al-Haytham der Physiker; wenn man aber die Errungenschaften von Ibn Sina und al-Biruni beschreiben will, kann man im besten Fall einige Glanzpunkte herausgreifen.
    Als Arzt verdankt Ibn Sina seinen bis heute andauernden Ruhm dem Kanon der Medizin , der sowohl in der islamischen Welt als auch in Europa (wo er sogar weiter verbreitet war und häufiger benutzt

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