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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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allerdings besser als Avicenna bekannt. Der andere war sieben Jahre älter, ruhiger, weniger temperamentvoll und stammte aus einer Familie mit bescheidenen Finanzmitteln; er verfügte aber über ein enzyklopädisches Gedächtnis und einen rasiermesserscharfen Intellekt. Heute ist er weniger bekannt. Interessanterweise gibt es im Gegensatz zu vielen anderen großen Gelehrten des Islam nicht einmal eine latinisierte Version seines Namens: Er hieß Abu Rayhan al-Biruni.

17.
Eine Seite aus Ibn Sinas Kanon der Medizin mit einer Beschreibung des menschlichen Skeletts.
    Woher kamen diese beiden Männer? Wo und wann lernten sie sich kennen? Und über was für Themen diskutierten sie? Wann ihr berühmter Briefwechsel stattfand, ist nicht genau geklärt, aber er spielte sich sicher zu Beginn ihrer Karriere ab, als beide noch keine 30 waren und möglicherweise sogar am Königshof von Gurganj, der Hauptstadt von Khwarizm in Zentralasien, unter einem Dach arbeiteten. Al-Biruni hielt sich selbst zu Recht für den überlegenen Kopf in Fragen von Mathematik, Physik und Astronomie, hatte aber auch ein echtes Interesse an dem, was der jüngere Ibn Sina – der kompetentere Philosoph – über eher abstrakte metaphysische Fragen zu sagen wusste; deshalb stellte er für ihn eine Liste von 18 Fragen zusammen. Einige der stärker philosophisch gefärbten lauteten zum Beispiel:
Mit welcher Rechtfertigung beharrt man darauf, dass die Himmelskörper weder Leichtigkeit noch Schwere haben und dass ihre Umlaufbahnen genaue Kreise um die Erde sind? Mit anderen Worten: Warum stürzen sie nicht auf die Erde oder schweben von ihr weg?
Warum lehnte er (Ibn Sina) wie Aristoteles die Atomtheorie ab, [160] wo doch die Vorstellung von einer ununterbrochenen, unendlich teilbaren Materie, der Aristoteles und Ibn Sina anhingen, ebenso spekulativ war?
Haben die Sonnenstrahlen eine materielle Substanz? Und wenn nicht: Wie übertragen sie dann ihre Wärme auf uns?
Wie würde er die von Aristoteles vertretene Ansicht verteidigen, wonach die Möglichkeit, dass Paralleluniversen existieren, nicht besteht? [161]
    Ich möchte hier Ibn Sinas Antwort auf nur eine dieser Fragen erwähnen: nämlich die, wie die Wärme der Sonne zu uns gelangt. Hier stellte al-Biruni nicht Ibn Sinas philosophische Ansichten in Frage, sondern er wollte aufrichtig wissen, ob dieser eine befriedigende Antwort geben konnte. Ibn Sina lieferte folgende Erklärung:
Du musst auch wissen, dass die Wärme der Sonne nicht zu uns kommt, indem sie von der Sonne zu uns herabsteigt; das hat folgende Gründe: Erstens bewegt Wärme sich nicht von selbst; zweitens gibt es keinen heißen Körper, der von oben herabsteigt und das, was unten ist, aufheizt; drittens ist die Sonne nicht einmal heiß, denn Wärme, die hier erschaffen wird, steigt aus den drei bereits erwähnten Gründen nicht von oben herab. Vielmehr geschieht die Wärme hier durch die Reflexion des Lichtes, und durch diesen Prozess wird die Luft aufgeheizt, wie man es in dem Experiment mit den Brennspiegeln beobachten kann. Und du musst wissen, dass die Strahlen keine Körper sind – denn wenn sie Körper wären, gäbe es zwei Körper an einem Ort: die Luft und die Strahlen. [162]
    Heute wissen wir natürlich, dass die Sonne in Wirklichkeit sehr heiß ist und dass diese Wärme genau wie das Licht in Form elektromagnetischer Wellen zu uns gelangt, aber bis James Clerk Maxwell zu dieser richtigen Erklärung gelangte, sollten noch fast 900 Jahre vergehen.
    Ibn Sina befasste sich sorgfältig mit jeder einzelnen von al-Birunis 18 Fragen und verteidigte dabei nachdrücklich seine (und Aristoteles’) Ansichten. Viele seiner klugen, aber aalglatten und oftmals ausweichenden Antworten befriedigten al-Biruni jedoch nicht, und er stellte sie mit seiner eigenen unbestechlichen Logik in Frage. Es hat den Anschein, als wäre der Ton des Briefwechsel zwischen den beiden Männern zunehmend konfrontativ und sogar gehässig geworden. Al-Biruni hört sich an, als würde er seinem jüngeren Kontrahenten den Fehdehandschuh hinwerfen, und auch Ibn Sinas berühmte Arroganz ist deutlich zu erkennen.
    Nicht alle Fragen waren derart abstrakter Natur; offensichtlich war al-Biruni auch erpicht auf die Lösung einiger uralter Rätsel, beispielsweise der Frage, warum Eis auf Wasser schwimmt (Ibn Sina glaubte, dies liege an winzigen Luftblasen, die in dem Eis eingeschlossen sind und es leichter als Wasser machen – heute wissen wir natürlich, dass Eis oben schwimmt,

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