Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Köneürgenç heißt und in Turkmenistan liegt). Wegen des Machtkampfes zwischen den dort herrschenden Mamunidensultanen und den irakischen Banu-Prinzen hatte er einige Jahre zuvor aus Kath fliehen müssen, aber jetzt wurde er freundlich aufgenommen. Entscheidend war, dass die Sultane ihre Schirmherrschaft für die Wissenschaft erneuert hatten und erpicht darauf waren, führende Gelehrte an ihren Hof zu locken. Nun verbrachte al-Biruni viele produktive Jahre in einem Kreis hochintelligenter junger Köpfe, darunter der frühreife Ibn Sina. Ein solches intellektuelles Umfeld hatte es seit der Blütezeit des Hauses der Weisheit in Bagdad vor rund 200 Jahren nicht mehr gegeben.
Abu Ali al-Hussein ibn Abdullah ibn Sina (980–1037), besser bekannt unter seinem latinisierten Namen Avicenna, ist der berühmteste Gelehrte des Islam. Wie die Arbeiten von Aristoteles, die man als Höhepunkt des altgriechischen philosophischen Denkens betrachten kann, so bildet Ibn Sinas Tätigkeit den Höhepunkt der mittelalterlichen Philosophie. Er wurde in der Nähe von Buchara geboren, und im Gegensatz zu al-Biruni erfreute er sich einer privilegierten Erziehung als Sohn politisch einflussreicher Eltern, die zur Herrscherelite der Samaniden gehörten. Schon in jungen Jahren hatte er den ganzen Koran und eine Menge persische Dichtung auswendig gelernt. Eine wichtige Rolle in seiner Jugend spielte sein Lehrer Abu Abdullah al-Natili, über den Ibn Sina später in seiner typischen arroganten Art schrieb: »Al-Natili war sehr über mich erstaunt; welches Problem er mir auch vorlegte, ich begriff es besser als er, und so riet er meinem Vater, ich solle keinen anderen Beruf als die Gelehrsamkeit ergreifen.« [164] Ibn Sina beschreibt auch, wie er als Teenager bereits die Medizin beherrschte und sie intellektuell nicht als ausreichende Herausforderung betrachtete; also wandte er sich der Philosophie zu. Er praktizierte aber auch weiter die Medizin und behandelte im zarten Alter von 16 Jahren bereits Patienten. Nachdem er sogar den Prinzen Nuh Ibn Mansur erfolgreich therapiert hatte, erhielt er als Belohnung freien Zugang zur königlichen Bibliothek in Buchara. Dort vervollkommnete er seine Ausbildung und beschäftigte sich mit allen Wissensgebieten. Sein erstes Buch, das dem Prinzen Nuh gewidmet war, trug den Titel Eine Abhandlung über die Seele in der Art einer Zusammenfassung und ist sowohl auf Arabisch als auch auf Lateinisch erhalten geblieben. Es ist mehr eine studentische Hausarbeit denn das Werk eines reifen Gelehrten, aber es schuf die Voraussetzungen für viele seiner philosophischen Schriften aus späteren Jahren.
Ungefähr zur gleichen Zeit, als al-Biruni sich verzweifelt darum bemühte, in Rayy Fuß zu fassen, genoss also Ibn Sina in Buchara mit Vergnügen die großartigen Texte über Medizin und Philosophie. Es dauerte aber nicht lange, dann sollte sich ihr Schicksal ins Gegenteil verkehren: Gerade als al-Brunis Leben sich plötzlich zum Besseren wendete, weil er nach Gorgan ging, war Ibn Sina gezwungen, seine Heimatstadt für immer zu verlassen. Die wachsenden Spannungen zwischen der Samanidendynastie und den Ghaznaviden im Süden veranlassten ihn, nach Norden in die relative Sicherheit von Gurganj zu fliehen, [165] wo al-Biruni einige Jahre später bei seiner Rückkehr zu ihm stieß. Aber trotz dieses Rückschlages setzte Ibn Sinas Karriere sich fort, und er wurde schon zu Lebzeiten zu einer großen Berühmtheit. Er heiratete nie; angeblich soll er ein ungeheuer gutaussehender Mann gewesen sein, der die Gesellschaft von Frauen sowie nicht nur gelegentlich ein Glas Wein genoss. Außerdem war er so arrogant, dass er die »gewöhnlichen Sterblichen« in seinem Umfeld verhöhnte.
Al-Biruni dagegen war zwar durch und durch ebenso selbstbewusst und sogar arrogant wie Ibn Sina, er hatte aber einen völlig anderen Charakter. Wie Ibn Sina verzichtete er auf Ehe und Familie, aber er war nicht auf Macht oder Reichtum aus, sondern widmete sich hingebungsvoll seiner Forschung. Als er später den Ma’sudi-Kanon , sein großes Werk über Astronomie und Geometrie, dem Ghaznawidensultan al-Mas’ud widmete, soll dieser ihn mit einem Elefanten belohnt haben, der mit Silbermünzen beladen war. Al-Biruni nahm das Geschenk jedoch nicht an, sondern schickte es zurück und erklärte, er brauche so viel Reichtum nicht. Diese Geschichte ist kein Anzeichen, dass al-Biruni demütig war; sie zeigt nur, dass weltlicher Besitz ihn nicht interessierte.
Als
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