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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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wurde seine Äußerung darüber, wie man von ihm verlangte, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Herrschern zu vermitteln: »Ich wurde gezwungen, mich an weltlichen Angelegenheiten zu beteiligen, was den Neid der Toren erregte, während die Weisen mich deswegen bedauerten.«
    Ein weiteres Beispiel ist seine faszinierende Haltung in der Frage des helio- oder geozentrischen Weltbildes. Es besteht kein Zweifel, dass al-Biruni sich wie die große Mehrzahl aller islamischen Gelehrten aus voller Überzeugung zum geozentrischen Modell des Universums bekannte. Er ging sogar noch einen Schritt weiter und diskutierte über die Reihenfolge der Sonnen- und Planetenumlaufbahnen um die Erde. Einer seiner Zeitgenossen jedoch, der Astronom al-Sijzi aus Bagdad (ca. 950–ca. 1020), hatte ein heliozentrisches Universum vorgeschlagen. Al-Biruni kannte diese Überlegungen und arbeitete sogar mit al-Sijzi zusammen; er tat dessen Vorstellungen also nicht kurzerhand zugunsten des geozentrischen Weltbildes ab, sondern verhielt sich in der Frage anfangs neutral. Berühmt wurde seine Aussage, man könne alle astronomischen Beobachtungen nicht nur mit einer stationären Erde erklären, sondern ebenso gut auch mit der Annahme, dass die Erde sich einmal am Tag um ihre Achse dreht und einmal im Jahr um die Sonne kreist. Obwohl al-Biruni mit dem heliozentrischen Weltbild philosophische Schwierigkeiten hatte, war er offenbar intelligent genug, um wie Ibn al-Haytham anzuerkennen, dass man eine wissenschaftliche Theorie nur aufgrund empirischer Belege akzeptieren kann. Und da die Belege keine Entscheidung zwischen helio- und geozentrischem Weltbild zuließen, war es nicht an ihm, ein Urteil zu fällen. Tatsächlich war viel später auch das richtige heliozentrische Modell von Kopernikus eigentlich nicht mehr als eine Vermutung. Es galt zwar als erstes Anzeichen für die Geburt der modernen europäischen Naturwissenschaft, aber es existierte bereits, bevor Galilei sein Teleskop in den Himmel richtete und bevor Newton sein Gravitationsgesetz der umgekehrten Quadrate ableitete (die beiden Faktoren, die notwendig waren, um zu beweisen , dass Kopernikus recht hatte). [168]
    Al-Birunis Einstellungen zur Kosmologie kann man mit einer anderen wissenschaftlichen Diskussion aus neuerer Zeit vergleichen: mit der Frage nach der richtigen Interpretation der Quantenmechanik, jener Theorie über die subatomare Welt, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. In diesem Fall – und das ist eine Frage, die bis heute nicht befriedigend beantwortet ist – dreht sich die Diskussion um die physikalische Realität bestimmter Aspekte des Mikrokosmos, beispielsweise die scheinbare Fähigkeit subatomarer Teilchen, an zwei Orten zur gleichen Zeit zu sein. Auch hier konnte uns kein Experiment, dessen Entwicklung wir in Angriff genommen haben, einen Hinweis auf die Richtigkeit einer von mehreren möglichen Interpretationen geben. Der dänische Physiker und Vater der Quantenmechanik Niels Bohr (der mich aus irgendeinem Grund stark an einen ins Kopenhagen der 1920er Jahre verpflanzten al-Biruni denken lässt) vertrat die Ansicht, man könne die Frage mit Experimenten nicht beantworten; deshalb sei sie rein metaphysischer Natur und eine Sache des philosophischen Geschmacks. Al-Birunis Haltung gegenüber der Kosmologie scheint mir dieser modernen, »positivistischen« Position zu ähneln: Wenn man mit experimentellen Belegen nicht zwischen zwei Konkurrenztheorien unterscheiden kann, sind beide zwangsläufig gleichermaßen gültig, und sich darüber Sorgen zu machen ist Zeitverschwendung. Was das Modell des Sonnensystems anging, wurde die Frage viele Jahrhunderte nach al-Biruni beantwortet. Die Quantenmechanik wartet noch heute auf ihren Kopernikus, Galilei oder Newton. Ich sollte hinzufügen, dass man eine solche positivistische Einstellung auch Ibn al-Haytham zugeschrieben hat: Dieser erklärt in seinem Buch der Optik ganz eindeutig, metaphysische Spekulationen seien kein wahres Wissen, es sei denn, sie würden durch empirische Beweise gestützt.
    In der Theologie vertrat al-Biruni eine Ansicht, die noch in unserer heutigen Welt umstritten ist: Er erklärte, der Koran sei »keine Beeinträchtigung für die wissenschaftliche Betätigung, und er tastet den Bereich der Wissenschaft nicht an«. Wie frühere Gelehrte im Bagdad al-Ma’muns, so war auch al-Biruni offensichtlich ausgezeichnet in der Lage, seinen rationalistischen Ansatz in der

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