Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Metropole im Osten, so war auch Córdoba jetzt eine riesige, prachtvolle Stadt – die größte, reichste und mit Sicherheit kultivierteste in ganz Europa.
Noch stärker vergleichbar mit seinem Gegenstück aufseiten der Abassiden, in diesem Fall al-Rashids Sohn, dem großen al-Ma’mun, war sicher Abd al-Rahmans Sohn al-Hakam (Regierungszeit 961–976). Wie al-Rashid und al-Ma’mun, so genossen auch diese andalusischen Herrscher jetzt den Luxus von Frieden und Wohlstand, und Gelehrte erfreuten sich ihrer großzügigen Schirmherrschaft. Al-Hakam, der wie al-Ma’mun auf Bücher versessen war, wandte zur Befriedigung dieses Bedürfnisses die riesigen Geldsummen auf, die ihm zur Verfügung standen. Er schickte Abgesandte in den Osten, damit sie Abschriften aller Bücher besorgten, deren sie habhaft werden konnten; auf diese Weise baute er in dem Königspalast neben der großen Moschee von Córdoba eine gewaltige Bibliothek auf, die schon bald fast eine halbe Million Bücher enthielt – die größte Bibliothek des christlichen Europa dagegen besaß zu jener Zeit nicht mehr als einige hundert Manuskripte. Al-Hakam beschäftigte viele Schreiber, die von allen mitgebrachten Büchern Abschriften anfertigten. Nach einem Bericht des Philosophen Ibn Hazm füllte allein der Bibliothekskatalog 45 Bände zu jeweils 50 Folioseiten. [176] Im Unterschied zu Bagdad gab es natürlich in Córdoba kaum so etwas wie die Übersetzungsbewegung, denn die meisten Bücher, die al-Hakam erwarb, lagen bereits auf Arabisch vor.
Die berühmteste Hinterlassenschaft aus dieser Herrschaftszeit von Vater und Sohn war die Medinat al-Zahra ’, ein Palast- und Stadtkomplex, den sie wenige Kilometer außerhalb von Córdoba errichten ließen (das Wort medina heißt »Stadt«; siehe Farbtafel 12). Die Bauarbeiten wurden von Abd al-Rahman III. 936 begonnen, die Herkunft des Namens liegt aber im Dunkel der Vergangenheit. Manchmal wurde behauptet, der Herrscher habe damit seiner Geliebten Zahra’, deren Statue über dem Haupteingang stand, einen Gefallen tun wollen; nach anderen Angaben wurde der Palast nach Fatimat al-Zahra’ benannt, der Tochter des Propheten. Diese zweite Erklärung erscheint plausibler, denn der neue, selbsternannte Kalif war erpicht darauf, seinen Untertanen und der ganzen Welt seine Macht und sein religiöses Bekenntnis zu demonstrieren. Der Bau der Palaststadt begann zu einer Zeit, als Abd al-Rahman seine Aufmerksamkeit stärker der Expansion nach Nordafrika zuwandte, das damals unter der Herrschaft der schiitischen, ebenfalls nach der Tochter des Propheten benannten Fatimidendynastie stand. Eine weitere mögliche Erklärung für den Namen ist also der Wunsch der sunnitischen Umayyaden, ein Gegengewicht zu den Fatimiden zu bilden.
12.
Die Ruinen des im 10. Jahrhundert entstandenen Plast- und Stadtkomplexes Medinat al-Zahra’ bei Córdoba.
Al-Zahra’ wurde als »vergessenes Versailles des Mittelalters« bezeichnet, es war aber nicht die erste derartige Palaststadt, die in der islamischen Welt errichtet wurde: Der Abassidenkalif al-Mu’tasim (al-Ma’muns jüngerer Bruder) hatte 836 rund 130 Kilometer nördlich von Bagdad die Stadt Samarra gegründet, nachdem er die Hauptstadt verlassen hatte, weil deren Bevölkerung gegen seine verhasste türkische Leibgarde revoltiert hatte. Zu jener Zeit wurde Samarra als Surra man ra’a (»Erfreut wer sie sah«) bezeichnet. [177] Das berühmte Spiralkegelminarett ( malwiyya ) der großen Moschee von Samarra ist bis heute eine der denkwürdigsten Hinterlassenschaften des Mittelalters (siehe Farbtafel 14). Die Moschee selbst war zu jener Zeit die größte der Welt.
14.
Das berühmte Spiralkegelminarett ( malwiyyah ) der großen Moschee von Samarra.
Die Stadt al-Zahra’ in Andalusien muss den Besuchern aus dem christlichen Norden, die der Kalif regelmäßig freundlich empfing, atemberaubend üppig erschienen sein. Wie die Palaststadt von Samarra hundert Jahre zuvor, so war auch al-Zahra’ mehr als nur eine Sommerresidenz des Kalifen außerhalb seiner Hauptstadt Córdoba. Es wurde zum neuen Regierungssitz: Nur zehn Jahre, nachdem Abd al-Rahman mit dem Bau begonnen hatte, verlegte er seine Verwaltung dorthin. Es ist ein trauriger Gedanke, dass diese prächtige Stadt, wie wir noch genauer erfahren werden, nur 60 Jahre später völlig zerstört wurde. Dies geschah während eines blutigen Bürgerkrieges, der das Ende des Umayyadenkalifats und sogar der muslimischen Herrschaft in Andalusien
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