Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
wissenschaftsfeindliche Bestrebungen in den Gesellschaften, auf die er traf – ein Thema, das auch heute in vielen Teilen der Welt aktuell ist:
Der Extremist unter ihnen würde die Wissenschaften als atheistisch abstempeln und behaupten, sie würden die Menschen in die Irre führen. Damit würde er Unwissende dazu bringen, wie er selbst die Wissenschaft zu hassen. Das nämlich wird ihm helfen, seine Unkenntnis zu verbergen, und es öffnet Tür und Tor für die vollständige Zerstörung von Wissenschaften und Wissenschaftlern. [173]
Wenn solche Empfindungen, die so beredt für den Rationalismus sprechen, das wichtigste Erbe der arabischen Wissenschaft sind, dann war dieses unterschätzte und wenig bekannte persische Genie sicher ihr größter Fürsprecher.
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Andalusien
In der Glanzzeit des islamischen Spanien galt Unwissenheit als so beschämend, dass diejenigen, die keine Bildung besaßen, diese Tatsache so weit wie möglich verborgen hielten, genau wie sie ein begangenes Verbrechen geheim gehalten hätten.
S. P. Scott, ›History of the Moorish Empire in Europe‹
Die Straße von Gibraltar, die zwischen der Südwestecke Europas und dem afrikanischen Kontinent liegt, ist nach dem Felsen von Gibraltar benannt, einem groߟŸen Vorgebirge aus Kalkstein, das ins Mittelmeer ragt. Der Name kommt von dem arabischen Jebel Tariq (»Tariqs Berg«). Tariq ibn Ziyad war der Umayyadengeneral, der 711 u.Z. nach Spanien übersetzte und damit das islamische Herrschaftsgebiet nach Europa erweiterte. Als er an Land gegangen war und sich mit den Streitkräften der christlichen Westgoten auseinandersetzen musste, soll er die Schiffe seiner Armee im Hafen verbrannt haben, damit seine Leute nicht zurück nach Afrika flüchteten. In seiner Ansprache an die Soldaten, die in der arabischsprechenden Welt bis heute berühmt ist, soll er gesagt haben: »Männer, wohin könnt ihr flüchten? Hinter euch ist das Meer, und vor euch ist der Feind. Es gibt für euch bei Gott nichts außer Wahrheit und Charakterstärke.« Der Sieg von Tariqs Armee war der Beginn der muslimischen Eroberung Spaniens und eines fast 800 Jahre andauernden religiösen und kulturellen Einflusses des Islam in der Region Andalusien.
Aber dieser Einfluss ging weit über den einer einfachen Besatzungsmacht hinaus. Die Stadt Córdoba in Zentralspanien reichte auf dem Höhepunkt ihres Goldenen Zeitalters in Reichtum, Kultur und Größe, ja selbst mit ihrer Bibliothek an Bagdad heran. In der relativ kurzen Phase des sogenannten andalusischen Umayyadenkalifats (929–1031) wurde Córdoba zur wichtigsten Stadt Europas; sie brachte wissenschaftliche Errungenschaften hervor, die in jeder Hinsicht ebenso reichhaltig und vielfältig waren wie die unter den islamischen Dynastien des Ostens.
Bevor ich einige dieser Errungenschaften genauer erörtere und die dafür verantwortlichen führenden Gestalten vorstelle, beispielsweise den Erfinder Ibn Firnas im 9. Jahrhundert, den Chirurgen al-Zahrawi im 10. und den Philosophen Ibn Rushd im 12., möchte ich einen kurzen Abriss über die Geschichte Andalusiens geben. Eigentlich kann ich ihr auf wenigen Seiten nicht gerecht werden, und ich möchte mich auch nicht dafür entschuldigen, dass ich die großartige Kunst und Kultur jener Periode übergehe: Meine Geschichte handelt von Wissenschaft, und diese Geschichte zu erzählen ist einfacher. Das liegt daran, dass das Goldene Zeitalter der arabischen Wissenschaft in Spanien nicht lange dauerte. Es war zeitlich sogar so dicht gedrängt, dass die meisten führenden Wissenschaftler, Ärzte und Philosophen, deren Erwähnung sich lohnt, Zeitgenossen waren. Alle waren natürlich die Produkte einer etwas anderen islamischen Kultur, die weit von den Abassiden des Mittleren Ostens und Persiens entfernt war.
Betrachtet man die wissenschaftlichen Errungenschaften des mittelalterlichen Islam in einem größeren Rahmen, so war es vielleicht am wichtigsten, dass die arabische Wissenschaft über Spanien nach Europa gelangte – ein Vorgang, der länger dauerte als die zwei Jahrhunderte der Übersetzungsbewegung, durch die die Wissenschaft der Griechen bei den Arabern bekannt wurde.
Im Osten war die Herrschaft des Umayyadenkalifats am 25. Januar 750 u.Z. durch die Abassiden in der berühmten Schlacht am Ufer des Flusses Zab nicht weit von der irakischen Stadt Mosul beendet worden. Damit die Unterlegenen nicht versuchten, die Macht zurückzugewinnen, befahlen die Abassiden, die gesamte Königsfamilie der
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