Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Umayyaden zu ermorden. Dabei gingen sie aber nicht so gründlich vor wie geplant. Der junge Umayyadenprinz Abd al-Rahman, ein Enkel eines früheren Kalifen, konnte entkommen. Zusammen mit seinem engen Gefährten Bedr entging der 16-jährige Prinz den Wächtern der Abassiden, indem er durch den Euphrat schwamm. Mit der Hilfe von Stämmen, die noch zu den Umayyaden hielten, kam Abd al-Rahman nach Ägypten und von dort schließlich quer durch Nordafrika bis nach Spanien. Bis 756 hatte er sich mit Mut und Intelligenz allmählich eine Machtbasis aufgebaut. Er nahm zuerst Sevilla und dann Córdoba ein, wobei er den Gouverneur der Abassiden besiegte und Letzteres zu seiner neuen Hauptstadt machte. Sofort erklärte er sich zu Abd al-Rahman I., dem ersten Umayyaden- amir Andalusiens. Das Abassidenkalifat in Bagdad erkannte er nicht an. Anfangs herrschte bei den Arabern in Spanien offene, weitverbreitete Feindseligkeit gegenüber allem, was aus der Hauptstadt der Abassiden kam: Diese, so glaubte man, werde von degenerierten Nicht-Arabern (Persern) beherrscht, die demnach auch keine echten Muslime seien.
Erst während der Herrschaftszeit von Abd al-Rahmans Urenkel Abd al-Rahman II. (Regierung 822–852) setzten sich Frieden und Wohlstand durch, und mit ihnen kam es auch zu einem intellektuellen Erwachen. Zur gleichen Zeit, als al-Ma’mun in Bagdad sein Haus der Weisheit einrichtete, sprossen also auch in Córdoba die ersten zarten Pflänzchen der Gelehrsamkeit. Abd al-Rahman II. setzte es sich zum Ziel, mit großzügiger finanzieller Förderung die allerbesten Gelehrten anzulocken und damit Bagdad als Zentrum der Gelehrsamkeit Konkurrenz zu machen. Die Modernisierung kam aber nur langsam voran, und Abd al-Rahman II. musste mit dem von ihm beabsichtigten Wandel vorsichtig agieren.
Kulturell versuchte man in Córdoba zunächst, Bagdad nachzuahmen; die Bewohner der spanischen Stadt ließen sich gern von Reisenden, die aus dem Osten eintrafen, über die neuesten Geschichten, Moden und Musikstücke in Kenntnis setzen. Einer der Ersten, die an Abd al-Rahmans Hof kamen, war der irakische Musiker Ziryab (»Amsel«) – den Spitznamen verdankte er seinem dunklen Teint, seiner schönen Singstimme und seinem hübschen Äußeren. Ziryab war von einem neidischen Musiklehrer aus Bagdad vertrieben worden und reiste 822 nach Córdoba, wo Abd al-Rahman ihn zu einem attraktiven Gehalt einstellte. Ziryab eroberte das islamische Spanien im Nu und wurde schnell zu einem kulturellen Idol; er machte die Bewohner Córdobas mit den neuesten Gedanken aus dem Großraum Bagdad bekannt, von Musik und Tischsitten bis zu Haarmode, Parfüms und Deodorants – er ist sogar verantwortlich für die Entwicklung der Zahnpasta, die sich schon wenig später in ganz Spanien großer Beliebtheit erfreute. Auf diese Weise wurde er im Andalusien des 9. Jahrhunderts nicht nur zum Schiedsrichter in Geschmacksfragen, sondern auch zum Urgestein spanischer Musik und Kunst; außerdem war er ein großzügiger Mäzen der Wissenschaften. [174]
Gegen Ende des 9. Jahrhunderts besaß man in Andalusien arabischsprachige Abschriften mehrerer übersetzter griechischer Texte und auch die Werke einiger großer Gestalten aus dem Bagdad des 9. Jahrhunderts, so von al-Khwarizmi und al-Kindi. Auch die Philosophie der Mu’tazilitenbewegung war während der Regierungszeit von Abd al-Rahman II. aus dem Osten nach Spanien vorgedrungen, hatte aber dort zunächst wenig bewirkt. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts jedoch fielen die Reisenden aus dem Osten stärker auf. Das ging so weit, dass sie sogar zum Gegenstand der Verfolgung durch das immer noch konservative andalusische Establishment wurden.
Das eigentliche Goldene Zeitalter Andalusiens begann nach allgemeiner Einschätzung 929 mit der Regierungszeit von Abd al-Rahman III. [175] Dieser Herrscher gab sich nicht mit dem Titel eines amir zufrieden, sondern beförderte sich selbst zu einem richtigen Kalifen, womit er in Macht und Prestige auf Augenhöhe und in direkter Konkurrenz zum Kalifat in Bagdad stand. In den ersten Jahren seiner Regierungszeit war er damit beschäftigt, die vielen Nachfolgekriege, Aufstände und Stammesrevolten niederzuschlagen, die bereits seit Jahrzehnten tobten. Am Ende waren alle Widersacher besiegt, und er konnte ganz Spanien vereinigen. Abd al-Rahman III. war in vielerlei Hinsicht ein Herrscher nach dem Vorbild des großen Harun al-Rashid, der ein Jahrhundert zuvor in Bagdad geherrscht hatte. Wie die
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