Im Haus des Wurms
direkt vor einem der Beine stand.
Verwundert berührte sie dessen Glied mit ihren behandschuhten Fingern. Alles war aus Metall, Metall und Eis und Blumen, wie auch das Gebilde selber. Wo die Beine den Boden berührten, war der Stein darunter zerbrochen. An hundert Stellen war der Stein geborsten, als wenn ein großer, mächtiger Stoß ihn getroffen hätte.
Und Risse dehnten sich von den Bruchstellen aus, zickzackartig verlaufende schwarze Risse, die um die Flanken der Stellen wie die Netze eines Sommer-Spinners krochen. Die Blumen sprossen aus diesen Rissen. Jetzt, da Shawn nahe genug herangetreten war, erkannte sie, daß die Pflanzen ihrer kleinen Flußblume keineswegs alle glichen. Man fand Blüten in vielen Farben, manche so groß wie Shawns Kopf, und sie wuchsen verschwenderisch, wohin man blickte, so als sei ihnen gar nicht bewußt, daß gerade der Tiefwinter herrschte, wo sie eigentlich schwarz und tot hätten sein müssen.
Shawn umrundete das Gebilde und suchte einen Eingang. Da ließ ein Geräusch ihren Kopf zum Flußufer herumfahren.
Ein dünner Schatten flimmerte kurz über dem Schnee und schien dann verschwunden zu sein. Shawn erschauderte und zog sich rasch zum nächsten großen Bein zurück, um ihren Rücken zu decken. Sie ließ alles fallen, und schon hatte sie Lanes Schwert in der linken Hand und ihr eigenes Langmesser in der anderen. So stand sie da, verfluchte sich selbst wegen des Streichholzes, dieses verfluchten, dummen Streichholzes, und horchte nach dem flag-flag-flag des Todes auf krallenbewehrten Füßen.
Es ist zu dunkel, stellte sie fest, und ihre Hand zitterte.
Im gleichen Moment kam der Schatten von der Seite über sie. Ihr Langmesser schoß darauf zu, stach und schnitt, traf aber nur die äußere Haut. Dann stieß der Vampir einen Triumphschrei aus, und Shawn erhielt einen Stoß, der sie zu Boden warf. Sie wußte sofort, daß sie irgendwo blutete. Ein schweres Gewicht lastete auf ihrer Brust, und etwas Schwarzes, Lederartiges ließ sich auf ihren Augen nieder. Sie wollte danach stechen, aber da mußte sie feststellen, daß die Klinge des Messers fehlte.
Shawn schrie.
Dann schrie auch der Vampir, und eine Seite von Shawns Kopf explodierte vor Schmerz. Blut lief über Shawns Augen, und sie würgte an einströmendem Blut und Blut und Blut…
Alles war blau; nichts als Blau, dunstiges, treibendes Blau. Ein blasses Blau tanzte und tanzte, wie das Geisterlicht, das am Himmel geschimmert hatte. Ein sanftes Blau, wie von der kleinen Blume, der unmöglichen Blume am Flußufer. Ein kaltes Blau, wie die Augen des Lenkers vom Eiswagen und wie Lanes Lippen, als Shawn sie ein letztes Mal geküßt hatte. Blau, Blau, das sich bewegte und niemals stillstehen würde.
Alles war wie ein Schleier und unwirklich. Es gab nur Blau. Für eine lange, lange Zeit nur Blau.
Dann Musik, aber verschwommene Musik, irgendwie auch blaue Musik; fremd und hochtönend, sehr traurig, einsam und ein wenig exotisch. Ein Wiegenlied, wie die alte Tesenya sie gesungen hatte, als Shawn noch sehr klein gewesen war und bevor die Alte zu schwach und zu krank geworden und von Creg nach draußen zum Sterben hinausgeschickt worden war. So lange schon war es her, seit Shawn zum letzten Mal ein solches Lied gehört hatte.
An Musik kannte sie nur das Spiel von Creg auf seiner Harfe und Rys auf ihrer Gitarre. Shawn spürte, daß sie sich entspannte und davontrieb. Alle ihre Glieder verwandelten sich in Wasser, träge fließendes Wasser, und Shawn wußte, daß sie eigentlich gefroren sein müßte.
Zart berührten sie Hände, hoben ihren Kopf, zogen ihr die Gesichtsmaske aus, so daß die blaue Wärme über ihre nackten Wangen strich. Die Hände wanderten tiefer und tiefer, lösten Shawns Kleidung, zogen ihr die Felle, Kleider und Lederstücke aus, öffneten den Gürtel, nahmen das Wams ab und runter mit den Hosen. Shawns Haut prickelte. Sie trieb und trieb immer weiter. Alles war warm, wunderbar warm. Und die Hände flatterten unglaublich zärtlich mal hierhin und mal dorthin; so sanft, wie bei der alten Tesenya, wie manchmal bei ihrer Schwester Leila. Wie bei Leila, dachte Shawn; dieser Gedanke war angenehm, und Shawn wollte ihn gar nicht mehr fahrenlassen. Sie war mit Lane zusammen, sie war geborgen und im Warmen und… und sie erinnerte sich an Lanes Gesicht, das Blau seiner Lippen, das Eis in seinem Bart, wo sein Atem gefroren war, den Schmerz, der in ihm gebrannt und sein Gesicht zu einer Maske verzerrt hatte. Shawn
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