Im Haus des Wurms
sah das Feld mit den Steinen, Blumen und dem Schnee und dahinter das niedrige Flußufer, das sie hochgestiegen war, und hinter diesem lag der zugefrorene Fluß, wie er sich durch die Ruinen schlängelte.
»Du siehst so wild und wütend aus«, sagte Morgan, nachdem sie ihr eigenartiges Gelächter beendet hatte. Sie hatte ihr wildes Haar mit Stoffstreifen und silbernen Spangen voller Perlen durchzogen, die strahlten, wenn Morgan sich bewegte. »Komm, #Carin-kind, zieh deine Felle wieder aus. Die Kälte kann uns hier nicht erreichen, und wenn sie es doch tut, fahren wie einfach woandershin. Es gibt noch andere Länder, mußt du wissen.« Sie durchquerte den Raum.
Shawn hatte die Spitze des Schwertes zu Boden sinken lassen, jetzt ließ sie die Waffe wieder hochfahren. »Bleib, wo du bist!« warnte Shawn. Ihre Stimme klang rauh und fremd.
»Ich habe keine Angst vor dir, Shawn«, sagte Morgan.
»Nicht vor dir, meine Shawn, meine Liebhaberin.«
Leichtfüßig ging sie an dem Schwert vorbei und nahm den Schal ab, den sie trug, eine dünne Gaze aus grauer Spinnenseide, mit kleinen, karmesinroten Juwelen bestickt, und legte ihn Shawn um den Hals. »Verstehe, ich weiß, was du denkst«, sagte sie und deutete auf die Juwelen. Einer nach dem anderen wechselten sie ihre Farbe: aus Feuer wurde Blut, das Blut erstarrte und verwandelte sich in Braun, aus dem Braun wurde Schwarz. »Du hast lediglich Angst vor mir, mehr nicht.
Aber keine Wut. Du wirst mich niemals verletzen.« Sie band den Schal hübsch unter Shawns Gesichtsmaske zusammen und lächelte.
Shawn starrte voller Schrecken auf die Perlen.
»Wie hast du das gemacht?« wollte sie wissen und trat unsicher einen Schritt zurück.
»Mittels Magie«, sagte Morgan. Sie drehte sich auf dem Absatz herum und tanzte zum Fenster zurück.
»Morgan steckt voller Magie.«
»Du steckst voller Lügen«, sagte Shawn. »Ich weiß Bescheid über die sechs Alynnes. Ich werde hier nichts essen und verhungern. Wo sind meine Skier?«
Morgan schien sie gar nicht gehört zu haben. Die Augen der älteren Frau waren verschleiert und voller Sehnsucht. »Hast du jemals das Haus Alynne im Sommer gesehen, Kind? Es ist wunderbar. Die Sonne steigt über dem Rotsteinturm hoch, und jede Nacht versinkt sie in Jameis See. Hast du das schon einmal gesehen, Shawn?«
»Nein«, sagte Shawn dreist, »und du auch nicht. Was redest du vom Alynne-Haus, wenn du behauptest, deine Familie lebte auf dem Eiswagen; und alle haben Namen, von denen ich noch nie gehört habe, Kleraberus und so.«
»Kleronomas«, sagte Morgan kichernd. Sie hob eine Hand an den Mund, um sich zum Schweigen zu bringen.
Müßig saugte sie an einem Finger, während ihre grauen Augen leuchteten. An allen ihren Fingern hingen Ringe aus einem strahlenden Metall. »Du solltest meinen Bruder Kleronomas einmal sehen, Kind. Er besteht zur Hälfte aus Metall und zur Hälfte aus Fleisch. Seine Augen sind hell wie Glas, und er weiß mehr als alle Stimmen, die jemals für Carinhall gesprochen haben.«
»Weiß er nicht«, sagte Shawn, »du lügst schon wieder.«
»Er weiß es«, sagte Morgan. Ihre Hand fiel herunter, und sie wirkte plötzlich böse. »Er ist ein Zauberer. Wir alle sind Zauberer. Erika ist gestorben, aber sie wird erwachen, um wieder und immer wieder zu leben.
Stephen war ein Krieger, er hat eine Milliarde Familien getötet, mehr als man zählen kann. Und Celia hat eine Menge geheimer Planeten entdeckt, auf die zuvor noch nie jemand gestoßen war. Alle in meiner Familie können magische Dinge tun.« Ihr Gesichtsausdruck wurde urplötzlich verschlagen.
»Ich habe schließlich den Vampir getötet, oder etwa nicht? Was meinst du wohl, wie ich das angestellt habe?«
»Mit einem Messer!« sagte Shawn dreist. Aber unter der Maske errötete sie. Morgan hatte den Vampir getötet; das hieß, Shawn hatte etwas wiedergutzumachen. Und dabei stand Shawn mit gezückter Waffe hier. Sie erschrak vor der Wut Cregs, die sie sich ausmalte, und ließ das Schwert zu Boden fallen. Plötzlich fühlte sie sich sehr hilflos.
Morgans Stimme war ganz sanft. »Doch du hattest ein Langmesser und ein Schwert und konntest trotzdem den Vampir nicht töten, oder, Kind? Nein, nicht wahr?« Sie ging auf Shawn zu. »Du gehörst mir, Shawn Carin, du bist meine Liebhaberin, meine Tochter und meine Schwester. Du mußt lernen, Vertrauen zu haben. Ich will dich eine ganze Menge lehren. Hier.« Sie nahm Shawn bei der Hand und führte sie ans Fenster. »Bleib hier
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