Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
Schaden nahmen.
Vor der zerstörten Brücke vergingen wertvolle Sekunden, bis sie den Eingang zu dem Trampelpfad entdeckten, der nach unten zum Fluss führte. Isabel keuchte, ihr Herz raste, ihre Beine zitterten, dennoch gelang es ihr, mit den Männern Schritt zu halten und mit ihnen das Flussufer zu erreichen, wo ihre Kanus lagen. Schnell waren die Boote zu Wasser gelassen. Buassi legte Noah in eines der Kanus, Isabel stieg zu ihnen, dann Dr. Timm.
*
Keiner der Donowai folgte ihnen, während die Strömung sie rasch flussabwärts trug; offenbar hatten sie die Wilden wirklich eingeschüchtert. Wind kam auf, kräuselte das Wasser und rauschte durch das dichte Blattwerk, über ihnen ballten sich graue und schwarze Wolken und verbargen die Sonne. Ein Blitz zuckte über den Himmel, grollend brach Donner los. Die ersten Tropfen fielen, wurden dichter, dann prasselte Regen auf sie nieder, der sie alle schnell bis auf die Haut durchnässte und sie zwang, die Kanus mit Händen und Bechern auszuschöpfen. Dennoch ließen sie eine gute halbe Stunde verstreichen, bevor sie es wagten, an einer passenden Stelle die Kanus an Land zu steuern, damit Dr. Timm die Verletzten versorgen konnte.
Isabels zerschnittene Füße brannten, sie war nass und ihr war schwindelig vor Hitze und Aufregung, aber das war alles nicht schlimm. Sorgen bereitete ihr einzig und allein Noah. Obwohl Dr. Timm sich schon im Kanu um ihn gekümmert hatte, war sein Zustand fast unverändert. Immerhin schien er etwas besser Luft zu bekommen. Dr. Timm sprach laut mit ihm und versuchte, seine Lebensgeister mit leichten Schlägen ins Gesicht und auf die Handflächen anzuregen. Isabel hätte jubeln können, als Noah endlich erste schwache Anzeichen von Abwehr zeigte.
»Na also«, sagte der Arzt zufrieden. »Sieht ganz so aus, als würden wir ihn wieder hinbekommen.«
Dann machte er sich an die Versorgung der anderen beiden Patienten – Jensen mit dem Pfeil im Oberarm und Tupia, dem eine Donowai-Keule eine blutende Wunde an der Seite gerissen hatte. Wasser prasselte auf den Fluss und rauschte über ihren Köpfen, während sie sich in den Schutz einiger dichter Bäume geflüchtet hatten.
Lauterbach hatte Isabel nicht aus den Augen gelassen. »Und das ist also tatsächlich Ihr Bruder?«, fragte er jetzt mit Blick auf Noah.
»Mein Halbbruder«, gab Isabel mit gesenktem Kopf zurück, ihr Gesicht glühte. Sicher sah ihr jeder sofort die Lüge an. »Er … Mein Vater … Sie müssen wissen …« Herrje, plausibel zu lügen war schwieriger als gedacht.
»Lassen Sie nur, ich verstehe schon«, unterbrach Lauterbach ihr Gestammel. »Eine denkbar unangenehme Geschichte, will mir scheinen.«
Sie sah ihn dankbar an. Offenbar glaubte er, es wäre ihr peinlich, über diese Sachen zu reden. Verständlich, musste es sich doch so anhören, als habe ihr Vater die Familie verlassen, um hier mit einer Einheimischen zu leben. Im Stillen bat sie ihren Vater um Vergebung.
*
Der Regen war versiegt und ihre Kleider fast schon wieder getrocknet, als sie am späten Nachmittag endlich die Umrisse eines kleinen Dampfschiffs mit einem Schaufelrad am Heck erblickten. An Bord wurde Isabel Kapitän Pahnke und dem Ersten Steuermann Sterz vorgestellt, die bereits von den vorausfahrenden Herren über ihre Ankunft informiert worden waren.
Dr. Timm erklärte eine der wenigen Doppelkabinen in dem hölzernen Aufbau an Deck zur Krankenstation und ließ Noah, der noch immer kaum Reaktionen zeigte, auf eines der beiden einfachen Betten legen.
Isabels Unterbringung stellte ein Problem dar. Die Herzogin Elisabeth war zu Forschungszwecken gedacht und nicht für Damenbesuch eingerichtet. Das Schiff verfügte lediglich über sieben Kabinen für zwanzig Leute. Der Kapitän erbot sich daher, zusammen mit seinem Zimmergenossen seine Doppelkabine für Isabel zu räumen und sich einen Platz an Deck zu suchen.
Isabel lehnte dieses Angebot jedoch dankend ab und erklärte sich bereit, die Krankenkabine mit ihrem »Bruder« zu teilen; es würde sie freuen, Dr. Timm zur Hand gehen zu können.
Dieser Vorschlag stieß bei den Herren ganz offenkundig auf Erleichterung.
*
Leise prasselte der Regen auf das Dach der Schiffskabine. Isabel konnte es kaum erwarten, dass die Herzogin Elisabeth endlich ablegte und sie von hier fortbrachte, aber damit würde sie bis zum Morgen warten müssen. Durch die gekippte Luke hörte sie ein paar Männer miteinander flüstern, doch sie waren zu weit entfernt, um sie verstehen zu
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