Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
können.
Sie war allein mit Noah. In seinem rechten Unterarm steckte eine dicke metallene Nadel, die über einen Gummischlauch mit einem erhöht stehenden Glasbehälter verbunden war, in dem sich eine klare Flüssigkeit befand.
»Kochsalzlösung«, hatte Dr. Timm erklärt. »Der junge Mann ist völlig ausgetrocknet. Und da er noch nicht schlucken kann, führen wir seinem Körper auf diese Weise Flüssigkeit zu.«
Tatsächlich schien es Noah etwas besser zu gehen. Sein Atem war kräftiger geworden und sein Teint hatte wieder eine normale Farbe angenommen. Allerdings war er noch immer nicht aufgewacht.
Dr. Timm hatte zuerst nichts davon hören wollen, als sie ihm angeboten hatte, alleine bei Noah zu bleiben. Er war erst gegangen, als sie versprochen hatte, sofort nach dem Arzt zu rufen, sobald Noah zu sich kommen sollte.
Sie warf erneut einen Blick auf die Skala an dem Glasbehälter und vergewisserte sich, dass der Pegel der Salzlösung so langsam sank, wie Dr. Timm ihr gezeigt hatte. Obwohl die Sonne schon lange untergegangen und die Luke gekippt war, war es heiß und stickig in der Kabine. Vermutlich aus Gründen der Schicklichkeit hatte der Arzt ein leichtes Leinentuch über Noahs fast nackten Körper gedeckt. Ihm musste schrecklich warm darunter sein.
Isabel streifte die Decke ein Stück zurück und glaubte einen leichten Seufzer zu vernehmen. Dann war er wieder still.
»Noah?«, flüsterte sie.
Er antwortete nicht. Rührte sich nicht.
Wieso wachte er nicht endlich auf? War der Schlangenbiss noch gefährlicher, als es den Anschein hatte?
Sie rückte ihren Stuhl näher zum Kopfende des schmalen Bettes und sah zu, wie er atmete. Einfach nur atmete. Lebte.
Ihre Kehle schnürte sich zu, als sie daran denken musste, wie viel Angst sie um ihn ausgestanden hatte. Und wie sie heute Mittag in der Grube gekniet und den Unterkieferknochen an sich gepresst hatte in dem Glauben, Noah sei tot.
Wie sie sich über ihre Gefühle für ihn klargeworden war.
Ihr Herz schlug schneller. Sie betrachtete seine schlafende Gestalt, die wohlgeformten Linien seines Körpers und das schwarze Wirrwarr fingerlanger Haarsträhnen, die in alle Richtungen von seinem Kopf abstanden.
Sie hatte seine Haare noch nie angefasst. Wie sie sich wohl anfühlten?
Sie streckte die Hand aus und berührte zaghaft eine der gedrehten Strähnen. Es fühlte sich gut an; dicht und fest und doch weicher, als sie erwartet hatte. Langsam strich sie darüber, kreiste mit einem Finger darum. Sie wurde mutiger, spielte mit mehreren der verfilzten Stränge, bis sie schließlich ihre Finger tief hineingrub.
Dann stockte sie. Unter den dichten Strähnen spürte sie etwas, das sich anders anfühlte als der Rest. Erhabene Ränder, als wäre die Kopfhaut dort vernarbt. Sie tastete weiter. Ja, sie hatte recht: Da war eine Narbe auf der Kopfhaut. Rührte das von einer lange zurückliegenden Verletzung her? Hatte Noah dadurch sein Gedächtnis verloren?
»Wer bist du nur?«, fragte sie leise.
Um mehr erkennen zu können, beugte sie sich tiefer zu ihm, fuhr mit beiden Händen in seine Haare und zog die Strähnen entschlossen auseinander.
Noah stieß ein unwilliges Brummen aus und drehte seinen Kopf zur Seite. Isabel ließ ihn so hastig los, als hätte sie sich verbrannt, ihr Herz stolperte.
»Du bist wach?«
Als Antwort schlug er die Augen auf und sah sie an. »Schon eine … ganze Weile.« Seine Stimme war kaum mehr als ein verwaschenes Murmeln, als ob er getrunken hätte.
»Warum hast du nichts gesagt?«
»Wollte nicht, dass … du aufhörst. Deine Finger … so sanft. Anfangs.« Sein Atem war noch etwas flach. »Geht es dir gut?«
Tränen schossen in ihre Augen. »Du bist fast gestorben und fragst mich , ob …« Sie konnte nicht weiterreden.
»Ich weiß ja … wie es mir geht.« Allmählich gewann seine Stimme an Klarheit. »Als hätte ich Gelee … statt Knochen. Wie ein Neugeborenes.« Er holte erneut Luft. »Wo sind wir?«
»Auf dem Schiff der Forscher. Korua-Kolta ist tot. Wir sind in Sicherheit.«
Zumindest vor den Donowai. Was Noah in Finschhafen erwarten würde, darüber wollte sie jetzt noch nicht nachdenken.
»Was ist passiert?«
In wenigen Sätzen erzählte sie ihm von ihrem Weg durch die Wildnis, bis sie die Forscher gefunden hatte, von ihrer Rückkehr zu den Donowai und seiner Befreiung.
Er sah sie an, in seinen blauen Augen las sie erst Verwirrung, dann Dankbarkeit. »Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt … um mich zu retten?«
»Du
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