Im Herzen der Nacht - Roman
Tod.
»Mögen die Götter euch alle verdammen!«, rief er dem brennenden Dorf zu.
»Die Götter verdammen uns nicht. Mit unseren Worten und Taten verdammen wir uns selbst.«
Verwundert drehte er sich zu der Stimme um, die hinter ihm erklungen war, und sah einen schwarz gekleideten Mann den Hang heraufsteigen - einen Mann, wie er ihn nie zuvor erblickt hatte. Der Nachtwind umwehte den Fremden und blähte seinen langen, fein gesponnenen Umhang. In der linken Hand hielt er einen gebogenen Kriegerstab aus altem, dunklem Eichenholz mit eingeritzten Symbolen und schmückenden Federn an der Spitze, von einer Lederschnur festgebunden.
Mondstrahlen tanzten über sein pechschwarzes, zu drei langen Zöpfen geflochtenes Haar. In den silbrig schimmernden Augen schienen geisterhafte Nebelschleier zu wallen.
Was für unheimliche, beängstigende Augen …
Nie zuvor hatte Talon, hochgewachsen wie ein Riese, zu jemandem aufschauen müssen. Aber dieser Mann überragte ihn mindestens um Haupteslänge. Erst als er näher kam, stellte sich heraus, dass er nur um wenige Zentimeter größer war und nicht so alt, wie er zunächst gewirkt hatte. Das Gesicht gehörte einem Jüngling auf der Schwelle männlicher Reife.
Dann schaute Talon genauer hin und las in den dunklen Augen die Weisheit aller Zeitalter. Nein, das war kein Jüngling, sondern ein Krieger, der hart gekämpft und viel gesehen hatte.
»Wer bist du?«, fragte Talon.
»Ich bin Acheron Parthenopaeus«, erwiderte der Fremde, »Artemis hat mich zu dir geschickt, um dich auf ein neues Leben vorzubereiten.« Obwohl er Talons keltische Muttersprache fließend beherrschte, schwang ein seltsamer Akzent in seinen Worten mit.
Wie Talon von der griechischen Göttin erfahren hatte, sollte er diesen Mann erwarten, der seit Urzeiten über die Erde wanderte. »Was wirst du mich lehren, Zauberer?«
»Wie du die Daimons besiegen kannst, die unschuldige Menschen angreifen. Wie du dich tagsüber verstecken musst, damit die Sonnenstrahlen dich nicht töten. Wie du sprechen sollst, ohne den Menschen deine Fangzähne zu zeigen. Und alles andere, was du zum Überleben brauchst.«
Von neuem, wildem Schmerz erfasst, lachte Talon bitter, übermäßiges Leid nahm ihm den Atem. Alles, was er ersehnte, war ewige Ruhe. Und seine Familie, die er für immer verloren hatte. Ohne sie wollte er nicht überleben, konnte nicht leben mit dieser Last auf seiner Seele. »Sag mir, Zauberer, kennst du ein Mittel, das mich von meinem Kummer erlösen kann?«
»Aye, Kelte«, antwortete Acheron und starrte ihn durchdringend an. »Ich kann die Qualen so tief in deinem Inneren vergraben, dass sie dich nicht mehr peinigen. Aber lass dich warnen - nichts wird jemals umsonst gewährt, nichts ist von endloser Dauer. Eines Tages wird etwas geschehen, das deine Gefühle und den Schmerz der Vergangenheit wachruft. Alles, was in dir verschüttet war, taucht wieder auf und vernichtet dich - und alle in deiner Nähe.«
Auf diese letzten Worte achtete Talon nicht. Nur eins wünschte er sich: sein gebrochenes Herz nicht mehr zu spüren, mochte es kosten, was es wollte. »Wirst du mich von allen Gefühlen befreien, Zauberer?«
Acheron nickte. »Wenn du meine Anweisungen befolgst.«
»Das werde ich tun. Hoffentlich bist du ein guter Lehrer.«
1
IN DER GEGENWART, NEW ORLEANS
»Glaub mir, Talon, einen Seelensauger-Daimon kampflos zu töten ist wie Sex ohne Vorspiel. Reine Zeitverschwendung. Langweilig.«
Seufzend hielt Talon das Handy an sein Ohr. Er saß an einem Ecktisch des Café du Monde und wartete auf die Kellnerin, die ihm einen Zichorienkaffee und Beignets bringen würde. In seiner linken Hand hielt er eine alte sächsische Münze, während er die dunkle Straße betrachtete und die Passanten beobachtete, Einheimische und Touristen. Nachdem er vor eintausendfünfhundert Jahren die meisten seiner Gefühle verbannt hatte, gab es nur drei Dinge, die ihm Freude bereiteten - leichtfertige Frauen, heißer Zichorienkaffee und Telefonate mit Wulf. In dieser Reihenfolge.
Wie er sich eingestand, bedeutete ihm Wulfs Freundschaft manchmal nicht mehr als eine Tasse Kaffee. Aber das galt nicht für diesen Abend. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit war er erwacht, mit einem lästigen Koffeinmangel. Theoretisch konnten Unsterbliche keine Sucht entwickeln. Nun, darauf wollte er nicht wetten. Er hatte sich kaum die Zeit genommen, in seine Hose und die Lederjacke zu schlüpfen, ehe er zur Göttin Koffeina geeilt war.
In der kalten
Weitere Kostenlose Bücher