Im Herzen der Nacht - Roman
ich weiß. Den Göttern sei Dank für die moderne Technologie! Ohne die würde ich den Verstand verlieren.«
Talon rutschte auf seinem Klappstuhl herum. »Nicht dass ich das Thema wechseln wollte - aber hast du mitgekriegt, wen Artemis nach New Orleans versetzt hat? Als Kyrians Nachfolger?«
»Wie ich höre, ist es Valerius«, entgegnete Wulf in ungläubigem Ton. »Was hat Artemis sich dabei nur gedacht?«
»Keine Ahnung.«
»Weiß Kyrian Bescheid?«
»Aus offensichtlichen Gründen haben Acheron und ich beschlossen, ihm nicht mitzuteilen, dass der Enkel und das Ebenbild des Mannes, der ihn gekreuzigt und seine Familie vernichtet hat, soeben in die Stadt gezogen ist. Noch dazu wohnt der Kerl in derselben Straße wie Kyrian, der das alles unglücklicherweise bald herausfinden wird.«
»O Mann, selbst wenn er jetzt ein Mensch ist - sobald er Valerius sieht, wird er ihn umbringen. So ein Theater kannst du um diese Jahreszeit nicht brauchen.«
»Allerdings nicht.«
»Wer übernimmt diesmal die Mardi-Gras-Pflichten?«
Talon warf die Münze auf den Tisch und dachte an die alten griechisch-römischen Sklaven, die man vorübergehend in die Stadt beordern würde. Vom nächsten Tag an sollten sie mithelfen, die Daimon-Schwemme zu bewältigen, die sich jedes Jahr um diese Zeit über New Orleans ergoss. Zarek war ein berüchtigter Sauger, verrückt nach Menschenblut. Bestenfalls labil, schlimmstenfalls psychotisch. Niemand traute ihm über den Weg.
Es war Talons besonderes Pech, Zarek ertragen zu müssen, nachdem er den Besuch einer weiblichen Dark Hunter erhofft hatte. Womöglich würde die Anwesenheit einer Person, die der Zunft der Dark Hunter angehörte, seine Kräfte schwächen. Aber er genoss lieber den Anblick einer attraktiven Frau, als sich mit Zareks Psychose herumzuschlagen. Außerdem - für das, was ihm vorgeschwebt hatte, würde er ohnehin nicht die Macht eines Dark Hunter benötigen, ebenso wenig wie die weibliche Dark Hunter. »Zarek«, antwortete er.
»Verdammt«, fluchte Wulf. »Ich dachte, Acheron würde ihn nie mehr aus Alaska rauslassen.«
»Leider war es Artemis’ Wunsch, ihn herzuschicken. Offenbar haben wir diese Woche eine große Psycho-Party. Ach nein, es ist ja Mardi Gras«, fügte Talon hinzu, und Wulf lachte.
Endlich servierte die Kellnerin den Kaffee und einen kleinen Teller mit drei Beignets voller Puderzucker. Talon seufzte anerkennend.
»Hast du deinen Kaffee gekriegt?«, fragte Wulf.
»O ja.« Talon nippte an der dampfenden Tasse, stellte sie beiseite und griff nach einem Krapfen. Im selben Moment sah er etwas auf der anderen Seite des Jackson Place in der Pedestrian Mall. »Du meine Güte!«
»Was ist los?«
»Da drüben treibt sich dieser beschissene Fabian herum.«
»He, beinahe könnte man meinen, du gehörst auch zu der Sorte, Blondie.«
»Du kannst mich mal beißen!« Verärgert über den ungünstigen Zeitpunkt, beobachtete Talon vier Daimons, die durch die Nacht schlenderten - hochgewachsene, goldblonde Daimons, in der ganzen göttergleichen Schönheit ihrer Rasse. Wie Punker-Pfaue stolzierten sie umher, trunken von ihrer Macht, und musterten die Touristen, auf der Suche nach lohnender Beute.
Von Natur aus waren alle Daimons Feiglinge. Gegen die Dark Hunter kämpften sie nur, wenn sie gruppenweise auftraten und wenn ihnen nichts anderes übrig blieb. Weil sie stärker als die Menschen waren, machten sie kurzen Prozess mit ihnen. Aber sobald sie einen Dark Hunter erblickten, rannten sie davon. Früher war es anders gewesen. Doch die jüngere Generation war nicht so kühn wie ihre Ahnen, nicht so gut ausgebildet, nicht so clever. Dafür viel dreister.
Talons Augen verengten sich. »Wäre ich negativ eingestellt, würde ich ernsthaft in Wut geraten.«
»Deine Stimme klingt ziemlich zornig«, meinte Wulf.
»Kein Zorn. Nur eine leichte Irritation. Diese Kerle solltest du sehen.« Talon unterdrückte seinen keltischen Akzent, erfand eine Konversation zwischen den Daimons und quietschte: »›He, schöner George, ich wittere einen Dark Hunter.‹« Nun senkte er seine Stimme. »›O nein, Dick, sei nicht albern. Hier gibt’s keine Dark Hunter.‹« Wieder im Falsett, fuhr er fort: »›Ich glaube schon...‹« In tieferem Ton fügte er hinzu: »›Also, ich rieche Touristen mit großen, starken Seelen.‹«
»Würdest du aufhören?«, japste Wulf.
»Elende Tintenkleckse«, benutzte Talon den abwertenden Spitznamen, den die Dark Hunter für die Daimons ersonnen hatten.
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