Im Herzen der Nacht - Roman
New-Orleans-Nacht war es ungewöhnlich
ruhig. Nur wenige Touristen schlenderten umher. Seltsam, so kurz vor Mardi Gras, der wichtigsten Jahreszeit für die Daimons … Bald würden die Vampire über die Touristen herfallen und ihre Gelüste stillen. Aber vorerst war Talon dankbar für die beschauliche Atmosphäre, denn sie erlaubte ihm eine ausführliche Beschäftigung mit Wulfs Krise - und das einzige Bedürfnis zu befriedigen, das nicht warten konnte.
»Wie ein echter Nordländer gesprochen«, murmelte er ins Handy. »Was du brauchst, mein Bruder, ist ein Saal, in dem süßer Met in Strömen fließt, mit drallen Kellnerinnen und Wikingern bevölkert, die ihren Weg nach Walhall erkämpfen.«
»Wem sagst du das?«, jammerte Wulf. »Wie ich die guten alten Zeiten vermisse, wo die Daimons noch erprobte Krieger waren! Diese Typen, die mir heute Abend über den Weg liefen, verstehen nichts vom Kampf. Ich habe diese ›Mein Revolver löst alle Probleme‹-Mentalität gründlich satt.«
»Bist du wieder erschossen worden?«
»Vier Mal. Ich wünschte, ein Daimon wie Desiderius würde auftauchen, mit dem ich mich richtig prügeln könnte.«
»Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, die werden sich vielleicht erfüllen.«
»Ja, ich weiß. Aber verdammt noch mal, warum laufen sie uns dauernd davon? Warum lernen sie nicht zu kämpfen wie ihre Ahnen? So schmerzlich sehne ich mich nach diesen schönen Zeiten zurück!«
Talon rückte seine Ray-Ban-Predator-Sonnenbrille zurecht und mustere ein paar Frauen, die vorbeigingen. Also, das wäre eine Herausforderung für seine Fänge... Hinter geschlossenen Lippen fuhr er mit der Zunge über seine langen,
spitzen Zähne und begutachtete eine schöne, blau gekleidete Blondine. Angesichts dieses verführerischen Gangs fühlte sich sogar ein Mann, der fünfzehnhundert Jahre zählte, wie ein Minderjähriger. Ja, die wollte er haben.
Zum Teufel mit dem Mardi Gras. Zu jeder anderen Zeit würde er das Telefonat mit Wulf beenden, der Frau folgen und die Glut seines Verlangens löschen. Diese verdammten Pflichten! Wie sie an seinen Nerven zerrten!
Irritiert konzentrierte er sich wieder auf das Gespräch. »Am meisten vermisse ich die Talpinas.«
»Wer sind die?«
Talon warf einen letzten wehmütigen Blick auf die Blondine, die jetzt aus seinem Blickfeld verschwand. »Ach ja, die gab’s vor deiner Zeit, im besseren Teil des Mittelalters. Damals erfüllten die Knappen keinen anderen Zweck, als uns mit Frauen zu versorgen.« Träumerisch erinnerte er sich an die Freuden, die diese Talpinas nicht nur ihm, sondern auch allen anderen Dark Huntern bereitet hatten. »O Mann, die waren fabelhaft. Sie wussten, was wir sind. Und sie schliefen nur zu gern mit uns. Verdammt, die Knappen brachten ihnen sogar bei, wie sie uns beglücken mussten.«
»Was wurde aus den Frauen?«
»Etwa hundert Jahre vor deiner Geburt beging ein Dark Hunter den Fehler, sich in seine Talpina zu verlieben. Zu unser aller Leidwesen bestand sie Artemis’ Prüfung nicht. Vor lauter Zorn verbannte die Göttin alle Talpinas aus unserer Nähe und stellte die grandiose Regel auf, dass wir’s mit jeder Frau nur ein einziges Mal treiben dürfen. Zu allem Überfluss dachte sich Acheron auch noch das Gesetz aus: Rühre niemals deinen Knappen an. Glaub mir, du kennst das Leben nicht, wenn du niemals versucht hast, im England des
siebzehnten Jahrhunderts einen nennenswerten One-Night-Stand aufzureißen.«
Wulf schnaufte verächtlich. » Mein Problem war das nie.«
»Darum beneide ich dich. Während wir anderen uns von unseren Liebhaberinnen losreißen müssen, um unsere Existenz nicht zu gefährden, darfst du dich ungehindert austoben. Überleg doch, wie frustrierend das ist, wenn sich keine Frau, fünf Minuten nachdem man sie verlassen hat, an einen erinnert.«
Wulf holte tief Luft. »Letzte Woche kam Christophers Mutter drei Mal hierher, nur um die Person zu sehen, für die er arbeitet. Wie lange kenne ich sie schon? Dreißig Jahre? Ganz zu schweigen von dem Abend vor sechzehn Jahren, wo sie die Bullen rief, weil sie dachte, ich wäre in mein eigenes Haus eingebrochen...«
Als Talon den Kummer aus Wulfs Stimme heraushörte, schnitt er eine Grimasse. Das machte ihm wieder einmal bewusst, warum er sich keine Gefühle außer körperlichen Genüssen gestattete. Da Emotionen sinnlos waren, verzichtete er sehr gern darauf. »Tut mir leid, kleiner Bruder. Wenigstens hast du uns und deinen Knappen, der sich an dich erinnert.«
»Ja,
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