Im Herzen der Zorn (German Edition)
»Jess? Klar doch! Ich mag Jess. Sie ist echt ein Schatz.«
»Ich spiel aber nicht den Taxifahrer«, verkündete Sean von seinem Platz am anderen Ende des Tisches aus. »Ich bin schon zum Homecomingball gefahren.«
»Ich auch«, sagte Lauren. »Du erinnerst dich vielleicht noch, Fiona, das war der Abend, an dem du vorgeschlagen hast, schwimmen zu gehen, obwohl es mitten im Oktober war?«
Plötzlich hatte Em eine Eingebung: der Ball. Da würde sie JD ihre Gefühle gestehen. Das war die perfekte Gelegenheit, ihm sämtliche unbegründeten Befürchtungen zu nehmen, sie würde sich für ihn schämen. Zum Teufel mit den Furien und ihren Drohungen. Sie hatten sich nicht an ihren Teil der Abmachung gehalten – sie in Ruhe zu lassen –, also würde sie auch ihre Bedingungen nicht länger erfüllen. Sie würde nicht zulassen, dass sie sie mit ihrer dauernden Angst vor Vergeltung manipulierten. Sie würde JD alles sagen. Sie würde die Überreste ihres vergangenen Lebens wieder einsammeln, ihre Freundschaften wiederherstellen und JD die Wahrheit offenbaren – ja, sie sogar vor allen herausposaunen.
Sie würde nicht nur zum Ball gehen, sie würde auch aufs Ganze gehen. Furien hin oder her. Sie fühlte sich augenblicklich so leicht wie schon seit Wochen nicht mehr.
»Ich fahre«, sagte Fiona und schob sich die Brille auf der Nase nach oben. »Wenn du mir dafür deine blauen Wildlederpumps leihst, Em?«
»Natürlich, Fi. Ich werde sie an dem Abend sowieso nicht tragen«, antwortete Em.
»Da fällt mir ein«, sagte Gabby. »Was wirst du denn tragen, Em? Wir haben noch gar nicht richtig darüber gesprochen.«
»Ach, ich dachte, ich ziehe einfach mein schwarzes Wickelkleid an«, erwiderte Em. Eine alte Standardlösung.
»Ähm, nein«, antwortete Gabby entschieden. »Für Schwarz bist du viel zu blass. Darin siehst du ja aus wie ein Grufti. Was ist mit dem zartlila Kleid? Das mit dem leicht durchsichtigen Rock?«
Em lächelte. »Das ist eine super Idee, Gabs. Und ich hab überlegt, mir nach der Schule die Nägel machen zu lassen«, fügte sie kurz entschlossen noch hinzu.
»Oooch, ich kann nicht.« Gabby zog einen Schmollmund. »Ich hab meiner Mom versprochen, direkt nach Hause zu kommen – sie denkt scheinbar, ich mach schlapp oder so.« Dann strahlte sie Em an. »Aber du solltest trotzdem gehen. Nimm’s mir nicht übel, aber du hast es wirklich nötig.«
»Wo du recht hast, hast du recht«, lachte Em. Die Leichtigkeit war noch da. Sie würde ihr altes Leben zurückbekommen.
Nach der Schule fuhr sie zu dem kleinen Einkaufszentrum – dem mit Pete’s Pizza und Princess Nails –, um eine Maniküre machen zu lassen. Früher, als Ems Mom noch so viele Überstunden machte (bevor sie eine feste Stelle bekam), hatte sie Em an ihren freien Tagen öfter mit hierher genommen und ihr einen hübschen, dezenten rosa Nagellack spendiert. Um ihr eine kleine Freude zu machen. »Auf sich selbst zu achten, ist der erste Schritt dazu, auch auf andere zu achten«, sagte sie stets. Und genau das würde Em heute tun.
Doch als sie sich der Salontür näherte, erstarrte sie plötzlich.
Im Fenster erblickte sie Ty. Die schwarzbraunen Haare wellig über die Schultern fallend, saß sie da und hielt die Nägel gerade unter den Trockner. Em konnte immer noch nicht fassen, dass sie ihre Haare wirklich gefärbt, sich von ihrer wunderschönen roten Mähne getrennt hatte.
Ihre Blicke trafen sich durch das Glas. Die Nachmittagssonne leuchtete orangefarben am Winterhimmel, warf ihr Spiegelbild auf die Scheibe und ließ es so aussehen, als säße Ty hinter einer dünnen Wand aus Feuer. Ty zog die Augenbrauen hoch und lächelte, als wollte sie sagen: »Dass ich dich hier treffe!« Em blickte sie verächtlich an und sah zu, wie sie ihre Sachen zusammenlas.
»Was zum Teufel machst du hier?«, fragte sie, als Ty aus der Tür kam, und versuchte, möglichst bedrohlich zu klingen. Aber sie wusste, dass sie sich eher ängstlich anhörte.
Ty, wie immer zu dünn angezogen für die kühle Vorfrühlingsluft, trug ein lockeres T-Shirt, Jeans und Ballerinas ohne Strümpfe.
Sie lächelte. »Hab mir nur schnell die Nägel machen lassen. Eine schöne Maniküre tut mir immer so gut, weißt du? Danach fühle ich mich jedes Mal wie neugeboren!« Ihre Stimme klang heiter und schien sich durch die Luft um Ems Hals herumzuschlängeln und die Haare hinter ihren Ohren zu zwirbeln.
»Wusstest du etwa, dass ich vorhatte, hierherzukommen?« Ems Stimme klang ganz dünn
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