Im Herzen der Zorn (German Edition)
gestochen hatte; sie pochte.
Der Schmerz erinnerte sie an den Abend von Lucys letztem Schönheitswettbewerb. Sie waren zusammen in der Garderobe gewesen und hatten sich fertig gemacht.
Lucy beugt sich dicht an den langen Spiegel heran, frischt ihre Wimperntusche auf, während Skylar in der Ecke steht und am Saum ihres Kleides zieht, damit es gleichmäßig fällt.
Lucys Blick trifft ihren im Spiegel. »Deine Arme sehen irgendwie so wabbelig aus«, sagt sie und mustert Skylars Spaghettiträgerkleid mit einem abschätzigen Blick. Skylar dreht sich hierhin und dorthin, versucht, sich so hinzustellen, dass ihre Arme schlank wirken – so wie Lucys.
Schnaubend verschließt Lucy ihre Mascara, baut sich hinter ihr auf und kneift sie in den Arm. Fest. So fest, dass Skylar unfreiwillig aufschreit.
»Ich glaub nicht, dass sich das irgendwie kaschieren lässt«, stellt sie fest und klemmt sich eine Hautfalte zwischen die Finger. Und dann, während sie den Griff etwas löst: »Vielleicht solltest du lieber meinen Schal borgen.«
Als Lucy ganz loslässt, spürt Skylar den Schmerz noch immer. Pochend.
Genau so, wie ihr Arm in diesem Augenblick schmerzte. Sie stand auf, um sich den Bienenstich im Spiegel anzuschauen. Auf dem Weg ins Bad nahm sie jeden einzelnen ihrer Schritte auf dem Holzfußboden ganz bewusst wahr.
Sie knipste das Licht an und wandte das Gesicht zum Spiegel. Was sie da erblickte, ließ sie prompt zurückschrecken. Sie umklammerte den Türrahmen, schwankte einen Augenblick. Presste die Augen zu. Vielleicht bildete sie sich das ja nur ein? Aber nein, als sie die Augen wieder aufschlug, war es noch da.
Jemand hatte mit rotem Lippenstift eine Frage auf den Spiegel gekritzelt:
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Eitelste im ganzen Land?
Die Handschrift war spitz und kantig. Ein Schauer jagte Skylar den Rücken hinunter, sie bekam weiche Knie. Sie drehte sich um und schaute den Flur entlang, erwartete fast, dass da jemand wäre. Sie wollte nicht zurück zum Spiegel sehen, konnte aber nicht anders, als die blutroten Worte anzustarren. War das ein Witz? Als Skylar den Satz im Geiste hörte, klang er aus irgendeinem Grund, als käme er aus Megs Mund. Wie ein Singsang. Fast schon … irre. Sie dachte an Ems Warnungen. Hatten Meg und ihre Cousinen etwa irgendetwas hiermit zu tun?
Und dann fiel ihr der Abend vor ein paar Wochen wieder ein, als sie bei Gabby waren und Em hinaus zu ihrem Auto gebracht hatten. Genau dieser Satz – oder ein sehr ähnlicher – hatte auf Ems Windschutzscheibe gestanden. Der Zusammenhang war wirklich unheimlich. Voller Entsetzen zwang sie sich, von dem Spiegel zurückzutreten.
Sie nahm ein paar Kosmetiktücher und presste sie auf die Worte, versuchte möglichst zu ignorieren, dass der Lippenstift wie Blut verschmierte. Leicht zitternd drückte ihre Hand fester und fester. Aber die Buchstaben lösten sich nicht, sie verwischten einfach nur, während Skylar immer kräftiger rieb. Spiegel, Spiegel. Spiegel, Spiegel. Selbst als sie unleserlich wurden, verhöhnten die Worte sie noch. Sie biss die Zähne zusammen und stemmte sich stärker gegen die Scheibe.
Mit einem lauten Splittern zersprang sie. Ihre Hand wich zurück, aber nicht schnell genug. Das Glas ritzte ihr den Daumen ein und sofort quoll Blut aus der Wunde. Der Schnitt tat nicht wirklich weh, versetzte ihr jedoch einen ziemlichen Schrecken. Sie sog einen tiefen Atemzug durch die Zähne und versuchte, nicht weiter darauf zu achten, wie nahezu perfekt ihr Blut zu der Farbe des Lippenstiftes passte.
Mit pochendem Herzen führte sie ihren Daumen zum Mund und starrte auf ihr gesprungenes Spiegelbild. Durch die Verzerrung wirkte sie fratzenhaft. Als hätte man sie in Würfel geschnitten und wieder neu zusammengesetzt.
Sie sah aus wie ein Monster.
Kapitel 23
Als sie am Dienstagmorgen vor der Schule ihre Bücher in die Tasche schob, stieß Ems Hand auf ein flaches Quadrat aus Kunststoff – die CD, die Crow ihr kürzlich gegeben hatte, an dem Tag, als Gabby ihre allergische Reaktion bekommen hatte. Sie wendete die Hülle hin und her, aber sie war nicht beschriftet, also steckte sie die CD einfach in ihren Computer, während sie sich weiter fertig machte.
Em erkannte die ersten Akkorde des Songs wieder. Es war der, den Crow ihr in seinem Truck vorgespielt hatte. An dem Tag, als es geregnet hatte. Dem Tag, an dem sie sich geküsst hatten. Sie schob die Gedanken beiseite und versuchte, sich auf die Musik zu konzentrieren.
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