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Im Herzen der Zorn (German Edition)

Im Herzen der Zorn (German Edition)

Titel: Im Herzen der Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Miles
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ihre Vertreterin. Kein Vergleich mit Gabby. Und, wie Skylar lächelnd feststellte, kein Vergleich mit ihr.
    Skylar zog am Kragen ihres Strickkleides und schob den Rock ein wenig höher. Sie hatte das Gefühl, ihr liefe die Zeit davon. Sie musste Pierce wenigstens noch in eine weitere gute Unterhaltung verwickeln, bevor der Abend zu Ende war. Sie räusperte sich, trank noch einen Schluck von ihrem Cider und wollte sich gerade auf den Weg machen, um ihn zu suchen, als eine Gruppe Elftklässler vorbeilief. Ziemlich coole, gut aussehende Jungs, keine arroganten Supersportler, sondern die Sorte, die gut zu Gabby und ihrer Clique passte.
    Sie schienen sich über Unterwäsche zu unterhalten. Ihre Unterwäsche, wie sie der Richtung ihrer Blicke entnahm.
    »Vielleicht ist sie ja getupft«, hörte sie einen Typen namens Matt sagen.
    Mit wild pochendem Herzen wirbelte sie herum.
    »Was hast du gesagt?«, fragte sie. Aber sie waren schon glucksend davongezogen.
    Sie hielt sich den Becher mit dem Cider an die Stirn, ließ sich das kühle Kondenswasser auf die Haut laufen und kippte anschließend hinunter, was noch im Becher war.
    Ihr Mund war ganz trocken und sich die Lippen zu lecken, half kein bisschen, sie feuchter zu machen. Fragen schwirrten ihr durch den Kopf. Warum hatten sie das gesagt? Ausgerechnet … aber nein. Sie konnten es nicht wissen. Es war unmöglich, dass irgendjemand davon wusste. Das war ein Zufall. Ihre Tupfenarsch-Tage waren lange vergessen und vorbei. Diese Skylar existierte nicht mehr. Sie fasste sich an das lockige Haar, als wollte sie sich selbst davon überzeugen.
    Trotzdem wurde sie das beängstigende, furchtbare Gefühl nicht los, dass die Leute sie beobachteten und kicherten. Dass ihre Geheimnisse ans Tageslicht kamen, dass alte Schreckgespenster aus dunklen Gräbern emporstiegen.
    Plötzlich verstummte die Musik. Skylar schnellte mit dem Kopf in Richtung der Lautsprecher, die auf ein paar Betonblöcken standen. Ohne die Hintergrundmusik mit ihrem gleichmäßigen Takt klangen die Gesprächsfetzen abgehackt und seltsam sprunghaft. Die Nacht war auf einmal mit stillen Leerräumen durchsetzt, wie mit schwarzen Löchern.
    Und dann begann ein blecherner Klang, in diese Löcher zu sickern und sich auszubreiten. Skylar erstarrte, Entsetzen durchdrang ihren ganzen Körper. Es war ein Klang, den sie überall erkennen würde, ein falsches Geträller, das sie jahrelang in ihren Albträumen verfolgt hatte. Ihre eigene Stimme. Ihr eigenes junges, dummes, peinliches Ich, das Let me entertain you sang. And if you’re real good, I’ll make you feel good …
    Ihr Blick fiel auf eine Ansammlung von Leuten, die sich über ein Smartphonedisplay beugten. Die Luft um sie herum schien schwer. Sie fühlte sich, als watete sie durch Schlamm und würde jeden Moment in der drückenden Dunkelheit ersticken. Das Lagerfeuer verbreitete nicht länger einen sanften Schein, seine Flammen waren jetzt grell, durchschnitten die Nacht wie zuckendes Stroboskoplicht. Ihr wurde schwindlig.
    Sie kämpfte sich zu der Gruppe um das Smartphone durch, angewidert davon, wie der gedämpfte Ton des Geräts ihre schreckliche Darbietung noch schlechter machte.
    »Hab’s auf YouTube gefunden«, hörte sie einen der Jungen sagen.
    Da, über die Schultern der anderen hinweg, konnte sie es sehen: ihre eigene peinliche Vorstellung als pummelige Achtklässlerin, lauthals singend und – wie sie jetzt deutlich erkannte – verzweifelt bemüht, ihr aufgemaltes Lippenstiftlächeln beizubehalten, während sie ihre lächerliche Nummer abzog. Ein paar Drehungen, ein paarmal die Beine in die Luft, der Versuch eines verführerischen Hüftschwungs, der die Gruppe in schallendes Gelächter ausbrechen ließ. In dem Lied ging es um eine Stripteasetänzerin , Herrgott noch mal. Warum hatte sie sich bloß von Lucy davon überzeugen lassen, das wäre eine gute Wahl für die Kategorie »Besonderes Talent«? Warum hatte ihre Mutter (die am Rand des Films zu sehen war, wie sie ihrer Tochter mit enttäuschter, angewiderter Miene zusah) ihr nicht gesagt, dass das unpassend war?
    Und dann der grandiose Ausklang des Songs, bei dem Skylar ungelenk im Spagat landete. Man konnte hören, wie der Stoff riss, trotz der Musik.
    Skylar beobachtete die Katastrophe, als sähe sie sie zum ersten Mal. Beobachtete, wie ihr die Gesichtszüge – jünger, rundlicher, aber unverkennbar ihre – in Schreck und Bestürzung entglitten, als ihre Hose, eng und paillettenbesetzt, damit sie zu

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