Im Herzen der Zorn (German Edition)
dich. Und noch mal danke.«
Em sah ihr mit einem Kloß im Hals nach.
Kaum saß Mrs Singer wieder in ihrem Auto, schloss Em die Tür und ging direkt im Flur auf die Knie, um die Habseligkeiten in dem Karton durchzusehen. Das meiste davon war Schrott: Schülerzeitungen, Quittungen, ein kleiner Pokal für das sportlichste Verhalten aus dem Ferienlager in der sechsten Klasse, ein Handyladegerät. Alles war mit einer dünnen Staubschicht überzogen und Em musste sich ständig die Hände am Hosenbein abwischen, um sie wieder sauber zu bekommen. Der Kloß in ihrem Hals schwoll immer mehr an. Es schien ihr unfassbar, dass diese wahllose Ansammlung unnützer Dinge ihre letzte Verbindung zum legendären Chase Singer sein sollte.
Auf dem Boden des Kartons lagen mehrere Ausdrucke der Gedichte, die er »mit ihrer Hilfe« für Ty geschrieben hatte. Und unten auf einem dieser Ausdrucke befand sich eine kurze handgeschriebene Notiz.
Vergiss nicht, dass du an uns gebunden bist, stand da. Em kniff die Augen zusammen, las es noch einmal, um sicherzugehen, dass sie es auch richtig verstand.
Hatte Chase das etwa geschrieben? War das eine Botschaft? Für sie, für Ty?
Nein, es war eindeutig die Handschrift eines Mädchens. Schaudernd erinnerte sie sich an die letzten Momente beim Shopping-Monster zurück, bevor die Furien in die Nacht entschwunden waren. Die roten Kügelchen, die damals auf Tys heller Handfläche glänzten. Die Worte, die Ty an sie richtete: Ich warne dich – sie werden dich für immer an uns binden .
Gebunden. Für immer. Was genau hatte sie den Furien da versprochen? Und warum befand sich die Mahnung daran hier, unter Chases restlichen Sachen?
Em zerriss das verknitterte Stück Papier und danach auch die anderen Gedichte. Die Schnipsel brachte sie ins Wohnzimmer und warf sie in den Kamin. All die Erinnerungen, die diese Gedichte mit sich brachten – an Chase, an Ty, an Zach –, verursachten Em Übelkeit. Dann war da noch der restliche Inhalt des Kartons … Gerade als Em ihn in den Keller tragen wollte, fiel ihr etwas Weiteres ins Auge. Ein kleines Notizbuch. Es war voll mit kurzen Vermerken in Chases unordentlicher Kritzelschrift.
Em blätterte durch die Seiten. Das Notizbuch war scheinbar so etwas wie sein »Ty-Spickzettel« gewesen – kurze Gedanken über ihre gemeinsame Zeit, Dinge, die sie ihm erzählt hatte, was sie mochte und was nicht.
Gestern Abend haben sie mich mit zu Benson’s genommen, lautete ein Eintrag. Aber nicht die Motorradkneipe. Eine andere, auf der Hinterseite, hinter einem Müllcontainer. Ich kann mich an kaum was erinnern, außer an rote Lampen, verdammt scharfe Frauen und Gold. Flüssiges Gold, goldene Schlangen, goldene Zungen. Seltsam. Route 23. Haben wir uns geküsst?????
Em las es wieder und wieder, um sich zu vergewissern, dass sie den richtigen Ort im Kopf hatte. Benson’s. Da war sie schon hundertmal vorbeigekommen und sie, Gabby, Fiona, Lauren und Jenna hatten eine Abmachung, dass sie diesen Sommer, sobald sie falsche Ausweise hätten, hineingehen würden, um mit den Bikern in ihrer Lederkluft Bier zu trinken und Karaoke zu singen.
Aber ein versteckter Schickimicki-Nachtclub im Keller? Wo die Furien Party machten? Das war schwer vorstellbar.
Das musste sie so schnell wie möglich überprüfen. Jedes bisschen Information war kostbar. Und ihr war klar, dass sie dafür ihre Verbündete brauchte. Sie raste in die Küche, schnappte sich ihr Handy und wählte die Nummer.
»Hallo?« Drea meldete sich so, wie sie es immer tat – als wäre sie jedes Mal überrascht, dass das Gerät ihre Stimme übertrug.
»Drea, ich bin’s«, sagte Em. Schnell und mit Nachdruck erzählte sie Drea von Mrs Singers Besuch, von den Gedichten, dem Notizbuch und dem geheimen Nachtclub. Den Teil mit dem versuchten Blutopfer am Grab von Dreas bester Freundin ließ sie allerdings aus. »Wir müssen da hin. Gleich morgen.«
»Einverstanden«, stimmte Drea zu. »Aber wie sollen wir reinkommen?«
»Na ja … Chase ist irgendwie reingekommen«, erwiderte Em unsicher, ohne zugeben zu wollen, dass sie ihr klitzekleines Altersproblem ganz vergessen hatte.
»Er war zufälligerweise auch mit drei wunderschönen Mädchen unterwegs, die zufälligerweise übernatürliche Kräfte besitzen«, seufzte Drea.
»Dann besorgen wir uns eben falsche Ausweise«, sagte Em sofort, als wäre die Sache bereits entschieden.
»In einem Tag?«, fragte Drea verächtlich.
»Drea! Fällt dir vielleicht etwas Besseres
Weitere Kostenlose Bücher