Im Herzen des Kometen
und vergessen ist. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, daß Streitigkeiten über die Frage, wohin diese große, gefrorene Träne gezielt werden soll, völlig am Kern der Sache vorbeigehen.«
»Wohin wollen Sie gehen?«
Ould-Harrads Blick streifte den Boden. »Ich muß hinuntergehen… ins Eis. In Tiefen, die niemand aufgesucht hat, außer Ingersoll, den sie jetzt den Alten Mann der Höhlen nennen. Ich werde davon leben, was auf seinen Spuren wächst, und die armen Geschöpfe aufsuchen, die ihm folgten. Ich werde ihnen behilflich sein, wenn sie noch leben. Und ich werde denken.«
Saul nickte. In Ould-Harrads Weltsicht war das Dasein eines Eremiten offensichtlich sinnvoll. Er unternahm keine Anstrengung, den Mann von seinem Vorhaben abzubringen. »Ich wünsche Ihnen Glück. Und Weisheit.«
Ould-Harrad nickte. Er blickte auf seine Schützlinge hinab. »Ich beginne wenigstens einen Aspekt zu verstehen…, diese Sache, die Sie predigen, diese Symbiose. Zuerst war mir manches daran unklar, nun aber…«
Er stockte. »Sie tun nichts Böses, Saul Lintz. Aus diesem Grund warne ich Sie. Hüten Sie sich vor Quiverian! Er plant etwas. Ich weiß es. Insbesondere Ihnen trachtet er zu schaden. Und Carl Osborn.«
Saul wußte nicht, was er sagen sollte. »Ich werde achtgeben.«
»Geben Sie acht oder tun Sie es nicht!« Ould-Harrad zuckte die Achseln. »Tun Sie dies oder lassen Sie jenes! Am Ende geschieht alles nach Gottes Willen. Wir sind hilflos.«
Die Seeottern schienen seine Absicht zu erraten, noch ehe er die geringste Bewegung machte. Sie sprangen auf und sausten durch den langen, trübe erhellten Stollen davon. Ould-Harrad wandte sich steif um und ging fort.
Er schien tatsächlich zu gehen, wie auf dem Mond oder auf der Erde, dachte Saul, als er ihm nachsah, und er überlegte, welcher Technik Ould-Harrad sich bediente.
Er machte kehrt und glitt zurück in die Blausteinhöhle, beschäftigt mit der Frage der Schwerkraft und ihrer Auswirkungen auf die Bewegungsabläufe.
2
----
CARL
Die Schwärze schien wie ein massives Gewicht, eine ungeheure Hand, die sich um das graue, zernarbte Eis schloß. Carl war seit Monaten nicht hoch über der Oberfläche gewesen, und der Eindruck trostloser Öde traf ihn unvorbereitet und weckte Erinnerungen an frühere Jahre, als das freie, stille Vakuum ihm Freiheit, Bewegung und mühelose Anmut bedeutet hatte.
Sterne strahlten. Ihre winzigen, überquellenden Leuchtfeuer, rosa, azurblau und gelb getönt, leuchteten wie Versprechen eines anderen Lebens – eines Reiches, das die Phantasie sich voll pulsierender Töne und Farben ausmalte, paradiesischer Gefilde jenseits dieser öden Ebene, der die langsame elliptische Bahn Farbe genommen hatte.
Die zunehmende Dunkelheit bedeutete, daß es zwischen dieser gefrorenen Wüste und den aus unvorstellbarer Ferne herüberfunkelnden Sternen nichts mehr gab – keine Planeten mit Wolken und Blitzentladungen, nicht einmal einen vagabundierenden Asteroiden. Sie befanden sich jetzt weit unterhalb der Ekliptik und waren von der Scheibe der Planeten zehnmal weiter entfernt als die Erde selbst von der Sonne. Das äußere Sonnensystem war ungeheuer ausgedehnt. Carl blickte nach Süden und hatte, wenn man so wollte, das ganze Sonnensystem im Rücken. Die Sonnenstrahlung – ein Tausendstel von der, welche die Erde erwärmte – war noch immer hell genug, daß sie das Auge blendete, konnte aber nicht die volle Farbigkeit der im Eis eingeschlossenen Stoffe zum Leuchten bringen. Allenthalben verschluckten tintenfarbene Schatten die Details; der größte Teil des Kometen war ein Reich der Finsternis.
»Vorsichtig jetzt!« sendete Jeffers.
»Klar«, antwortete Carl, aus seinem Tagtraum gerissen, mit mechanischer Selbstverständlichkeit. Mit dem Manövriergerät steuerte er seinen Freund an und landete bei ihm. Gemeinsam gingen sie südwärts. Unter normalen Umständen hätte er das Polarkabel aufgesucht und sich mit einem Düsenschub fortkatapultiert, um innerhalb weniger Minuten den Südpol zu erreichen. Aber es herrschten keine normalen Umstände.
Wachsam bewegten sie sich um einen kleinen, orangefarben gespritzten Eishügel. Leere Metallfässer waren mit dünnen Leinen an dem Haufen gefrorener Abfälle festgemacht: Industriemüll von irgendeinem Verarbeitungsprozeß, der vor Jahrzehnten hier stattgefunden hatte und längst vergessen war. Jeffers schlich von einem Faß zum nächsten, sorgfältig bedacht, sich nach Süden zu in Deckung zu halten.
Weitere Kostenlose Bücher